: Beschneidung: Ein Segen für Frauen?
■ betr.: „Nur ein harmloser Schnitt“, tazmag vom 22.11. 97
Drei Gründe sprechen für die Nichtbefassung von Terre des Femmes mit der Beschneidung von Jungen:
1. Immer wenn es Feministinnen gelingt, die Gesellschaft für ein frauenspezifisches Problem zu interessieren, kommen Männer (oder auch Frauen) und sagen: „Halt, halt, das ist nicht nur ein Frauenproblem, Männer sind davon mindestens so stark oder noch stärker betroffen.“ Damit sollen die Legitimation von Frauen, sich als Frauen politisch zu engagieren, in Abrede gestellt und die Probleme von Frauen verharmlost werden.
Die Beschneidung der Vorhaut bei Jungen kann mit der Genitalverstümmelung bei Mädchen (ein ganzes Organ wird weggeschnitten!) nicht verglichen werden. Mädchen werden durch diese totalitäre Form der Frauenunterdrückung ihrer Sexualität beraubt. Lebenslänglich. Die Beschneidung von Jungen ist hingegen keine Menschenrechtsverletzung, sondern allenfalls eine Geschmacksfrage. Ein Vergleich beider Handlungen ist auch in Bezug auf den Grad der Verletzung bei Mädchen und des Risikos für sie, völlig abwegig. Durch die Gleichsetzung von Beschneidung und Genitalverstümmelung wird eine Menschenrechtsverletzung an Mädchen verharmlost, was letzten Endes denen nutzt, die mit ihrer grausamen Praxis fortfahren wollen.
2. Die medizinische Relevanz der Beschneidung von Männern wird in dem Artikel von A. Hergeth nur unzureichend dargestellt. Er läßt unerwähnt, daß in Ländern, in denen Jungen beschnitten werden, das Muttermund-Carzinom fast unbekannt ist. Deswegen wurde die nicht-rituelle Beschneidung in den USA eingeführt – nicht wegen des wesentlich seltener auftretenden Peniskrebses. Medizinische Statistiken aus Israel waren ausschlaggebend dafür. Die Beschneidung von Jungen ist also vom gesundheitlichen Standpunkt aus ein Segen für Frauen und sollte schon deswegen nicht ausgerechnet von Terre des Femmes bekämpft werden.
3. Die Diskussion um die Beschneidung von Jungen ist – ob frau das will oder nicht – immer mit antisemitischen Elementen behaftet. Wer sich unbedingt damit befassen will, sollte zumindest reflektieren, warum bei allem Elend in der Welt ausgerechnet diese Frage jetzt Thema werden soll. [...] Jutta Oesterle-Schwerin,
Mitfrau von Terre des Femmes
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen