New York, Berlin, Babylon

■ Fast scheint „Metropolis“der modernste Film zu sein: Das Kino 46 lädt zum Bremer Symposium „Dschungel Großstadt – Kino und Modernisierung“

Einen eindrucksvollen Beleg dafür, wie altmodisch die Moderne geworden ist, liefert das Symposium „Dschungel Großstadt – Kino und Modernisierung“, das ab morgen im Kino 46 stattfindet. Mehr als die Hälfte der gezeigten Filme sind über 50 Jahre alt, und auch die meisten Vorträge sind eher filmhistorisch als aktuell. Im direkten Vergleich muß man zudem noch feststellen, daß der einzige in diesem Jahr hergestellte Film des Programms, Luc Bessons „Das fünfte Element“in seiner Filmarchitektur kaum mehr als ein Plagiat von „Metropolis“ist (mit „Bladerunner“als Zwischenstück). Auch die italienischen Futuristen, über die Leonardo Quaresima von der Universität Bologna in seinem Vortrag „Die Schönheit der Geschwindigkeit“erzählt, wurden schon von Mussolini rechts überholt.

Nur einer von neun Vorträgen scheint sich tatsächlich mit dem Kino und den Städten der 90er Jahre zu beschäftigen: Knut Hickethier erzählt unter dem Titel „Filmische Großstadterfahrung vs. Computerurbanität“von Städtebildern in neuen deutschen Filmen und Internet-Surfern. Aus dem Hier und Jetzt kommt aber immerhin auch die einzige Eigenproduktion der Veranstaltung: Sieben Mitglieder des Bremer Filmbüros haben jeweils etwa fünf Minuten lange Videoblicke auf ihre Stadt geworfen, die als „Dschungelrolle“heute abend und noch einmal am Sonntag mittag zu sehen sein werden.

Natürlich darf der berühmteste, einflußreichste und auch heute noch größte Großstadtfilm in diesem Programm nicht fehlen: „Metropolis“wird von Enno Patalas vorgestellt. Dieser erzählt von seinen Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion des Films, und präsentiert die vollständigste und selten gezeigte 138 Minuten lange Version des Films. Dazu spielt Joachim Bärenz seine Transkription der Originalpartitur auf dem Piano. Wie Fritz Lang in diesem und seinen anderen Filmen deutsche Ordnung in den Dschungel Großstadt bringt, analysiert Klaus Kreimeier in seinem Vortrag „Strukturen im Chaos“. Auch die Nationalsozialisten feierten ihre modernen Städte, und von deren propagandistischen Filmarchitektur erzählt Eva Maria Warth am Beispiel des N.S. Films „Großstadtmelodie“aus dem Jahre 1943, der ebenfalls gezeigt wird.

Daß die Großstadt auch ein Gemütszustand ist, beschreibt Norbert Grob in seinem Vortrag über den Film noir, und außer einem Überraschungsfilm aus der Schwarzen Serie steht dazu der Film „Blast of Silence“aus dem Jahre 1961 auf dem Programm, für den die Songzeile „New York is a state of mind“ein fast noch passenderer Filmtitel gewesen wäre.

Fritz Langs „M“, „Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt“und Wim Wenders „Himmel über Berlin“sind Pflicht in solch einem Programm, und zu den „Stadtlandschaften“von Wenders gibt es auch noch den passenden Vortrag von Guntram Vogt. Interessantere Fundstücke sind dagegen der russische Stummfilm „Moskva“aus dem Jahr 1928, den selbst die Veranstalter noch nicht gesehen haben; und als schönes Beispiel dafür, wie aus einem Film eine öde Design- und Ausstattungsorgie werden kann, gibt es die englische Verfilmung von H. G. Wells „Things to Come“aus dem Jahr 1936. Dieser Film verhält sich zu „Metropolis“wie Osterholz-Tenever zu Manhattan. Wilfried Hippen

Symposion „Dschungel Großstadt“, von heute, Donnerstag, bis zum 9. Dezember mit Vorträgen, Filmvorführungen und einer Fotoausstellung im Kino 46