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Viele Protagonisten sind tot

Trotzdem zaubern Peter Lund und Winfried Radecke ein Happy-End herbei: Die Geschichte eines ganzen, wilden Lebens, die düster-opulente „Legende vom Krabat“, prächtig aufgeführt in der Neuköllner Oper  ■ Von Christine Hohmeyer

Tief in den sorbischen Sümpfen und zu einer Zeit, als Hoyerswerda noch nicht in Verruf gekommen war, spielt die Legende vom Krabat. Eine Überlieferung aus dem 18. Jahrhundert erzählt die düstere Sage von dem Jungen, der in die Welt hinauszieht, um seinen Meister zu finden, bei einem Müller in die Schule der Schwarzen Magie geht und dabei beinahe den Tod findet. Der aber schließlich doch noch mit gefüllten Taschen und dem Zauberbuch nach Hause zurückkehrt – was das Ende der Geschichte hätte sein können, wäre es ein Märchen gewesen.

Nicht so in der Neuköllner Oper: „Der Mensch der irrt, jaja! Und wie! / Zwei Akte hat die Comedie. / Die Schule macht das Leben schwer / doch was danach kommt noch viel mehr.“ Und so schufen Peter Lund und Winfried Radecke aus dem opulenten Stoff gleich zwei abendfüllende Opern, einen kleinen Neuköllner „Ring“ aus Krabats Lehr- und Wanderjahren, gespickt mit Peter Lunds Paech-Brot-Versen, mit saftigen Worten und prächtigen Bildern. Ein ledriges Bodenrelief markiert den Sumpf, um den sich die Zuschauer scharen. Der Meister ist ausstaffiert wie ein prähistorischer Batman, und Krabat, der saftigste Satansbraten unter den Lehrlingen, hat rote Wangen und eine hübsche Rastafrisur. Aus weißem Rauch steigen menschliche Raben empor, und alle Bilder verweben sich wie in einem phantastischen Traum.

Dabei ist „Die Legende vom Krabat“ mehr als ein archaisches Bauernschmankerl. Im ersten Teil – nicht ganz deckungsgleich mit Otfried Preußlers berühmt gewordenem Jugendbuch – durchlebt Krabat sämtliche Lehrbuchphasen der männlichen Adoleszenz: Autoritätskonflikte mit dem Meister, homoerotische Freundschaft, Suche nach Identität. Dann, am zweiten Abend, die Metamorphosen des Erwachsenwerdens: „Krabat kommt, der Sonntagsvogel! / Ist ein rechter Goldfasan! / Lumpig in die Welt gezogen / kehrt zurück als reicher Mann.“ Krabat, nun erwachsen, frei und mächtig, aber auch von Langeweile und Omnipotenzphantasien geplagt, zieht in den Krieg. Selbst das endet beinahe wieder wie im Märchen – wenn es letztlich nicht (Zeigefinger!) um den Preis ginge, den er für all seine Macht zu zahlen hat.

Die Neuköllner Oper hat in diesen düstren Tagen also das Gewand gewechselt und sich vom Komischen aufs Tragische verlegt. Daß das nicht in hochmoralischer Peinlichkeit endet, verdankt sie dem Pfeffer im Libretto, aber vor allem Winfried Radecke. Der musikalische Hausherr der Neuköllner Oper hat in tiefster Bescheidenheit verkündet, „nur“ eine Theatermusik schreiben zu wollen. Dafür hat er manchmal einen burlesken Ton gewählt, in der Hauptsache aber eine dichte expressive Melodik, die Personen charakterisiert, den Szenen eine tiefgründigere Bedeutung zuweist und die Atmosphäre auf der Bühne im Handumdrehen wendet. Krabat im Zweikampf: Da gibt es eine lustige Haudrauf-Musike, die dramatisch anschwillt, vom Sieg kündet und in Klageseufzer ausbricht, lange bevor Krabat selbst erkennt, daß sich hinter dem getöteten Gegner sein einstmals bester Freund verbirgt.

Am Ende des zweiten Abends (viele Protagonisten sind tot) liegt ein depressiver Schleier über der Szenerie in den Sümpfen. Doch dann trickst Peter Lund und zaubert ein Happy-End herbei. Wie ein Gassenhauer bleibt der fröhliche Schlußgesang im Ohr hängen, aber selbst das kann die düstere Stimmung nicht mehr ganz vertreiben. So bleibt der Schluß ein wenig in der Schwebe und hinterläßt das Gefühl, daß da noch eine Fortsetzung folgen könnte.

„Die Legende vom Krabat“. Teil 1: „Die Rote Dame“; Teil 2: „König und Narr“; bis 31.12., Termine erfragen unter 6889070, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131–133

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