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Noch einmal Stricheln am grünen Buch der Greuel

■ EU-Kommissar Bangemann will Rundfunk partout zur Ware erklären. Andere wollen nicht

Der Kommissar geht wieder um. Martin Bangemann, gewichtiger Verfechter grenzenloser Marktgläubigkeit, läßt in seinem Kampf gegen den öffentlichen Rundfunk nicht locker: Er hat ein sogenanntes Grünbuch erarbeiten lassen, das Funk und Fernsehen zum Wirtschaftsgut erklärt. Gestern sollte es beschlossen werden und dann Kommission und EU- Parlament (EP) als Diskussionsgrundlage für eine neue Ordnung für Telekommunikation, Rundfunk und Pressewesen dienen.

Wie es in Brüssel heißt, kam es zum Eklat, weil sich der für Funk und TV zuständige Kommissar Marcelino Oreja von Industriepolitik-Kommissar Bangemann überfahren fühlte. Allerdings soll der Spanier nur erreicht haben, daß das Grünbuch offener formuliert und auch Gegenpositionen eingearbeitet wurden. Letztlich soll es aber die Fortsetzung einer von Bangemann in Auftrag gegebenen radikalen Studie der Unternehmensberatung KPMG sein. Der zufolge werden künftig Fernseher, Telefon, Fax und Computer zu einem Universalgerät verschmelzen: Eine sogenannte Konvergenz zwischen Rundfunk und Telekommunikation, die Rundfunk zur bloßen Dienstleistung und damit zum Wirtschaftsgut macht. „Ohne eine grundlegende Neubewertung riskieren wir, Innovationen zu ersticken, Investitionen zu verhindern, Neugründungen von Unternehmen abzuwürgen.“ Kann sich hingegen der Markt entfalten, ist nach Ansicht der Deregulierungsexperten auch ein öffentlicher Rundfunk unnötig.

„Ein Greuel-Grünbuch, das dem öffentlichen Rundfunk allenfalls noch den Stellenwert eines Wurmfortsatzes zubilligt“, wetterte die SPD-EP-Abgeordnete Karin Junker. Selbst wenn einmal nur mit einem Gerät ferngesehen, telefoniert und im Internet gesurft werden könne, sei der Unterschied von Individual- und Massenkommunikation sowie deren Bedeutung für die Meinungsbildung noch lange nicht aufgehoben. Die Kommission will zum Grünbuch ein halbes Jahr lang Experten und Lobbyisten aus der Medienindustrie anhören. Das sei, fürchtet ein ARD- Funktionär, wie wenn der Lehrer die Schüler frage, ob sie noch in die Schule gehen wollen. „Das Ergebnis: Die Schule wird abgeschafft.“

Allerdings ist fraglich, ob sich die EU-Mitgliedsstaaten und die in Deutschland fürs Fernsehen zuständigen Bundesländer von der EU so einfach ihre Kompetenzen wegdefinieren lassen. Zudem gebietet auch das Bundesverfassungsgericht, daß die Bundesländer für eine unabhängige Rundfunkordnung sorgen sollen. Schwierigkeiten könnte dem Kommissar zudem eine Protokollnotiz der EU-Regierungsschefs vom Juni machen. Die betont die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie ausdrücklich. Georg Löwisch

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