Zuviel Mischung oder zuwenig?

■ betr.: „Stabilität ungemischt“ (In homogenen Quartieren können Fremde viel besser ihre eigene Identität sichern) von Walter Sie bel, „Angstabbau wechselseitig“ (Ghettos laufen Gefahr zu explo dieren. Vor allem Bewohner ha ben zu leiden) von Werner Orlow sky, taz-dossier vom 26.11. 97

„Eingliederung in eine bereits bestehende Gruppe, eine größere Einheit“, so wird das aus dem Lateinischen stammende Wort Integration im Wörterbuch erklärt. Scheinbar wird dieses Wort von unterschiedlichen Personen, an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich gedeutet. Anders sind die Ausführungen von Walter Siebel nicht zu verstehen. Seinen Ausführungen zufolge sollen sich identitätslose Zuwanderer in homogenen Gebieten einquartieren, um zu einer Identität – welcher Art auch immer – zu finden, damit sie für das „Abenteuer des Neuen“ gewappnet sind. Nur läßt der Soziologieprofessor aus Oldenburg eine wichtige Tatsache außer acht. Wenn nämlich das Phänomen der Einwanderung, welches nicht nur seit den 50er Jahren Teil dieser Republik ist, vor Augen geführt wird, wird einer/m schnell klar, daß wir es hier nicht mit identitätslosen Zuwanderern zu tun haben, ganz im Gegenteil.

Heute leben in der Bundesrepublik etwa 7,3 Mio. Bürger nichtdeutscher Herkunft, die sog. Immigranten. Ungefähr ein Viertel von ihnen lebt und arbeitet bereits 25 und mehr Jahre in Deutschland, es ist die Rede von der zweiten und dritten Generation. Die Kinder und Enkelkinder der in den letzten Jahrzehnten zugewanderten Menschen, sind zu zwei Dritteln hier geboren und sehen sich als Teil dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft. Der Haken an der Sache ist, daß sie von der Mehrheit nach wie vor als Fremde behandelt werden. Dabei ist die Trennung nach „Inländern“ und „Ausländern“ institutionalisiert in Gesetzen, in der Gesellschaft und ihren Einrichtungen. Der Wunsch nach gleichberechtigter Teilhabe und Partizipation bleibt nicht nur auf der Strecke, sondern ist in Anbetracht der jüngsten Debatte um die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes eine Illusion. Zweifellos ist Integration, wie Werner Orlowski, ein vorzüglicher Kenner der Kreuzberger Szene, ausführt, ein langwieriger und konfliktreicher Prozeß. Integration ist allerdings auch keine Einbahnstraße. Hier sind beide Seiten gefordert, Mehrheit wie Minderheit. Anders sind die gesamtgesellschaftlichen Probleme, in Zeiten wo Schlagworte wie Globalisierung, Innere Sicherheit u.ä. an der Tagesordnung sind, nicht zu lösen.

Integration ist als die Möglichkeit zum Erlangen von politisch, ökonomisch und kulturell eigenständiger Handlungskompetenz zu verstehen, alles andere sind Spielereien auf Kosten der Betroffenen und münden in der Regel im Gedanken der Assimilation. Natürlich bahnt sich auch Zündstoff an, auf beiden Seiten. Zum einen, weil es die Hoheit über den Stammtischen zu verteidigen gilt. Zum anderen, weil jahrzehntelange Ausgrenzung und Diskriminierung empfänglich machen für ethnisch orientierte, autoritäre Strukturen, die scheinbar einen Halt bieten, aber gleichzeitig die Segregation forcieren. Um diesem sozialen Zündstoff vorzubeugen, sind ernsthafte Maßnahmen gefordert. Maßnahmen, die den Weg für ein friedliches Miteinander ebnen, Maßnahmen, die die gleichberechtigte Partizipation in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt sowie in der Bildung, zum Ziel haben. Dazu gehört auch das Wahlrecht. Die Politik muß endlich auf die Warnungen der Bevölkerungswissenschaftler hören.

Es kann und darf einfach nicht mehr hingenommen werden, daß Tausende Menschen, die zugewandert sind, vom politischen Willensbildungsprozeß ausgeschlossen werden, daß sie nicht mitentscheiden dürfen, ob zum Beispiel eine Schule im Block gebaut wird usw. Auf Dauer werden vielerorts die sogenannten demokratisch gewählten „Parlamente und Räte“ ihre Legitimation verlieren, weil ein großer Teil der Bevölkerung sie nicht wählen durfte/darf. Das genau ist die Kernfrage, die einer Antwort bedarf. Ob homogene Quartiere integrationsfördernd bzw. -hindernd sind, ist zweitrangig. [...] Özcan Mutlu, Berlin

betr.: „Die Stadt und die Fremden“, taz-dossier vom 26.11. 97

Nehmen wir mal an, es wäre so, wie es die Advokaten einer fürsorglichen Segregation so selbstverständlich annehmen: daß Alltagskooperation bevorzugt innerhalb ethnischer Grenzen stattfindet, daß persönliche Identitätsfindung im wesentlichen ethnisch ist und daß in diesem Fall dasjenige, was ist, auch gut und darum förderungswürdig ist. Dann bleibt bei Siebel, Häußermann und den anderen Befürwortern der neuen Reservate und Townships immer noch eine weitere unausgesprochene Prämisse von geradezu entwaffnender Naivität – die Annahme nämlich, Sozialleben und gegenseitige Hilfe in Städten seien auf räumliche Nähe angewiesen. Dies wird uns untergeschoben, wenn bei Häußermann aus einer „Infrastruktur“ der „ethnischen Gemeinschaften“ im nächsten Satz bereits „Viertel und Kolonien“ geworden sind, oder wenn bei Siebel der „Aufbau von Hilfsnetzen“ zum Motiv für die Oberschicht wird, sich räumlich abzusondern (als ob die Reichen ihre Nachbarn bräuchten).

Doch gerade von Migranten mit ihren oft transnationalen Bezügen anzunehmen, daß sie allein nachbarschaftlich orientiert sind und auf Mobilität im urbanen Raum verzichten, bedarf doch wohl zumindest verläßlicher Belege. Zwar sind Städte tatsächlich soziale „Konglomerate“, wie Siebel es ausdrückt, gebildet aus vielfältigen Schichten, Netzwerken, Institutionen, Diskursen, Lebensstilen und natürlich auch Ethnien – aber eben nicht aus „kulturell verschiedenen Dörfern“. Sofern überhaupt ratsam, wird der Aufbau ethnisch umgrenzter „informeller Netze“ und „Infrastruktur“ bestimmt nicht daran scheitern, daß man für ihre Nutzung in die U-Bahn steigen muß. Und was diagnostizieren eigentlich die von Gaserow Interviewten, wenn sie Klage über „Klein-Istanbul“ in ihrem Stadtteil führen: Zuviel Mischung oder zuwenig??? Christoph Brumann, Institut

für Völkerkunde, Uni Köln