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Revolution von Mexikos politischer Kultur

Der Amtsantritt des linken Bürgermeisters Cuauhtémoc Cárdenas ist ein historischer Einschnitt: Das Konzept von Demokratisierung und Zivilgesellschaft könnte konkrete Konturen bekommen  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Gleich drei Gespenster gehen dieser Tage um in Mexiko-Stadt: die Gewalt, die Demokratie – und die zivile Gesellschaft. Nicht recht greifbar, aber doch allgegenwärtig sind alle drei in der Megametropole, die heute ihren ersten frei gewählten Bürgermeister, Cuauhtémoc Cárdenas, im Amt begrüßt.

Schon wird dieser 5.Dezember als „magisches Datum“ gehandelt, mit dem die mexikanische Wende – von der autoritären „Demokratur“ der Institutionell-Revolutionären Staatspartei PRI hin zu einer echten Demokratie – eingeleitet werde. Tatsächlich könnte die Hauptstadt, die seit fast 70 Jahren de facto vom Präsidentenpalast aus regiert wird, zu einer Art Versuchslabor für eine Demokratisierung à la mexicana werden.

Um sein neues Amt aber dürfte Cárdenas, seit über einem Jahrzehnt Leitfigur der mexikanischen Linksopposition, kaum jemand beneiden. Die MexikanerInnen selbst halten ihre Hauptstadt für eine der unregierbaren Städte der Welt. Noch vor der apokalyptisch anmutenden Umweltsituation stehen heute laut Umfragen Armut und Arbeitslosigkeit, Korruption und Verbrechen auf der Katastrophen-Hitliste.

Auch wenn Cárdenas die Bekämpfung der drei großen K – Krise, Korruption und Kriminalität – zu Prioritäten seiner Administration erklärt, so stößt dieser Goodwill an enggesteckte Grenzen. Zum einen entzieht sich die Lösung dieser Probleme den Entscheidungskompetenzen einer Stadtregierung, die weder wirtschaftspolitische Kurswechsel noch Justizreformen veranlassen kann. Zum anderen werden weite Teile der informellen Infrastruktur der Stadt, von den Straßenverkäuferinnen über die sogenannten Müllmafias bis hin zum Transportwesen, noch immer über die PRI- Verbände kontrolliert.

So kann die eigentliche Innovation der Cárdenasschen Politik, neben vielen kleinen Schritten, zunächst gar nicht so sehr im Was denn im Wie bestehen – also der vielzitierten „Demokratisierung“ und „Bürgerbeteiligung“.

Allerdings entstammt auch der Präsidentensohn und ehemalige PRI-Gouverneur – buchstäblich – der „revolutionären Familie“ des alten Mexiko. Unbeirrt glaubt Cárdenas daran, daß die Ideen seines Vaters, des populären Expräsidenten Lazaro Cárdenas (1934–1940), auch „heute noch gültig“ sind. Für ehrenwerte Grundsätze wie soziale Gerechtigkeit und Antiimperialismus mag das zutreffen. Demokratie aber ist in der politischen Tradition des Landes eine vergleichsweise neue Losung. Und mit dem latenten Bedürfnis nach einem starken Mann, einem „guten Caudillo“, der die geplagte Stadt von ihren Übeln erlösen soll, wäre diese unvereinbar.

Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Debatte um die künftige Kulturpolitik. Die euphorische Ankündigung des Krimi-Autors Paco Ignacio Taibo II, einem der federführenden Verfasser der Cárdenasschen Kulturplattform, in der Stadt eine „echte Kulturrevolution“ anzetteln zu wollen, stieß unter vielen seiner Kollegen auf Befremden oder gar Ablehnung.

Nach Einschätzung des Intellektuellen Carlos Monsivais etwa neigt die Plattform zu einer gewissen „Mystifizierung der Volkskultur“; er plädiert daher gegen „populistische Versuchungen“ eher für die „Demokratisierung des Elitismus“, also für den Zugang der durch Mangel an Bildung, Geld und Information ausgeschlossenen Mehrheiten zum sogenannten gehobenen Kunstgenuß.

Dennoch kann es in Mexiko tatsächlich um nichts weniger gehen als um eine „kulturelle Revolution“ – im Sinne einer Revolutionierung der politischen Kultur. Gegen Demoralisierung und Fatalismus muß die neue Stadtregierung – die im Unterschied zu allen ihren Vorgängerinnen unbestrittene Legitimität für sich beanspruchen kann – in allererster Linie wieder Vertrauen herstellen. In die diskreditierten Institutionen, in Rechtsstaatlichkeit, Zivilität und Regierbarkeit, vor allem aber das Vertrauen der BürgerInnen in sich selbst. Damit wäre dann auch endlich mit der in Mexiko tiefverwurzelten Populismus-Tradition gebrochen, die die Lösung aller Probleme „von oben“ verheißt.

Aber die Hoffnung auf die Zivilgesellschaft ist ambivalent. Zum neuen „revolutionären Subjekt“ taugt sie nicht – und sie ist auch keine homogene Front engagierter DemokratInnen. Das zeigte etwa ein „Schweigemarsch gegen das Verbrechen“, an dem sich unter dem Motto: „Señor Presidente – es reicht!“ am Wochenende in Mexiko-Stadt Zehntausende beteiligten. Dort demonstrierten vor allem jene besseren BürgerInnen, für die Protestmärsche bislang eher Verkehrshindernisse darstellten und denen die Krise jetzt die Gewalt vor die eigene Haustür gespült hat. Entsprechend heterogen kamen die Forderungen: von Einführung der Todesstrafe bis zu Slogans „gegen die Repression“.

Mit dabei war aber auch Superbarrio, der maskierte Volksheld, der aus der Phantasie der ganz armen HauptstädterInnen entstanden ist und seit über zehn Jahren als Gallionsfigur der städtischen Volksbewegungen fungiert. Ob er denn von seiner Basis keine Vorwürfe zu hören kriege, wenn er auf einer solchen Mittelstandsdemo mitlaufe? „So ist das eben mit der Demokratie“, antwortete der Maskierte schulterzuckend, es gehe eben um den Respekt vor den Verschiedenheiten ebenso wie um das Schmieden von Allianzen.

So wird die – mal über- und mal unterschätzte – Zivilgesellschaft auch zur Komplizin und Kritikerin der neuen Stadtregierung werden müssen. „Wenn Cárdenas hier scheitert“, warnt nicht nur Superbarrio, „dann sind wir alle mitverantwortlich.“ Und wenn nicht, dann hätte das Phantasma der zivilen Gesellschaft, das lange Zeit als abstraktes Konzept durch die lateinamerikanischen Demokratisierungsdebatten gegeistert ist, in Mexiko und seiner Hauptstadt womöglich erste Konturen bekommen.

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