„Gebraucht habe ich die nie“

■ Ganz schön treu: Die 88jährige Huchtingerin Sophie Hotze ist seit 70 Jahren in der Deutschen Angestellten Gewerkschaft / Ihre Sorgen: Die neuen Rechten und der Euro

„Frei reden, im Vordergrund stehen, das ist nichts für mich“, sagt Sophie Hotze. Denn dann sei „alles weg“, und sie sagt Sätze wie: „Doch, ich habe allerlei erlebt, Gutes und Schlechtes.“Und das meint sie dann auch so – so unkonkret.

Eine typische Gewerkschafterin ist die 88jährige Huchtingerin nicht. Und auch keine typische Sozialdemokratin. Aber sie ist treu. Schon im vergangenen Jahr hat Sophie Hotze ihr 70jähriges Jubiläum in der SPD gefeiert. Und letzte Woche beging sie ihr 70jähriges Jubiläum bei der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG). „Dabei habe ich die nie gebraucht“, sagt Sophie Hotze. Denn Probleme mit Unternehmern oder Arbeitslosigkeit hatte sie nie. Trotzdem hat sie immer brav ihre Mitgliedsbeiträge gezahlt – auch als sie verheiratet war und zu Hause geblieben ist und später als Rentnerin ebenfalls. „Und zu den Versammlungen gegangen bin ich auch.“

Als sie siebzehn war und gerade in die SPD eintrat, sei vieles anders gewesen. Da habe sie Mitglieder geworben, auch wenn „die Leute manchmal häßlich waren“. Klar, daß sie ein Jahr später, als sie ihren ersten Job als Stenotypistin in einer Großwäscherei anfing, gleich in die Gewerkschaft ging. Damals hieß sie noch „Zentrumsverband der Angestellten“. 51 Stunden Arbeit in der Woche waren zu dieser Zeit normal, „aber nicht schlimm“.

Daß Sophie Hotze jeder unangenehmen Erinnerung gleich eine schöne hinzufügt, hat damit zu tun, daß ihr mit dem Alter viele Dinge weniger wichtig als früher erscheinen. So wie die Diskussionen in der SPD, mit denen sie „nicht mehr so viel anfangen“kann. „Aber das kümmert mich nicht.“Nur eines bedrückt sie: Daß sich die Geschichte zu wiederholen scheint, die Nazis wiederkommen. Obwohl sie nicht darüber reden will, wie es damals war. „Da gibt es nichts“, blockt sie ab. Nur Privates.

Wie die Hochzeit 1936, der erste Sohn ein Jahr später. Die Reise an die polnische Grenze nach Beginn des Krieges, als sie mit dem zweiten Jungen kurz vor der Entbindung stand. Die Schlittenfahrt bei 32 Grad Kälte, die wegen der Aufregung verfrühte Geburt. Dann wieder zwei Jahre später der Jüngste, als ihr Mann längst in das Kriegsheer eingezogen und nach Jugoslawien abkommandiert war.

„Als der Krieg aus war, kam auch mein Mann zurück und hatte sich eine aus Herzegowina mitgebracht.“Und die Idee, die beiden Frauen könnten doch wunderbar unter einem Dach... Sophie Hotze zögert. Ach was, das ist lange her. „Ein Glück, daß ich nicht mit ihm im Schlafzimmer gelegen habe, sonst hätte es geheißen, ich habe ihm verziehen.“So kam sie schnell durch mit der Scheidung, bekam sogar ein bißchen Alimente, 25 Mark für jeden der Jungs und fünfzig für sich.

Zu wenig natürlich zum Leben. 1951 suchte sie sich wieder Arbeit und landete beim Wirtschaftssenator in der Sachbearbeitung. „Die Büros waren neu organisiert, es hatte sich viel verändert.“Aber es gab immer noch – oder schon wieder – eine Gewerkschaft, die sich jetzt eben DAG nannte. Daß sie sich auch im Deutschen Gewerkschaftsbund, in der ÖTV oder der HBV (Handel, Banken und Versicherungen) hätte organisieren können, sei ihr nie in den Sinn gekommen. „Aber damals gab es noch diese strikte Trennung in Arbeiter und Angestellte. Und ich habe Seminare und Kurse besuchen können und mich dort wohl gefühlt, wo ich war“, sagt sie.

Auch jetzt mag Sophie Hotze sich nicht trennen, obwohl sie das DAG-Büro Am Wall nur noch alle Jubeljahre betritt. Lieber strickt sie oder liest, geht in Konzerte oder veranstaltet Kränzchen. „Ich freue mich über jeden Tag, der gut ist“, sagt sie. Und meint vielleicht auch: an dem sie noch Geld zum Ausgeben hat. Daß das wegkommen könnte, ist ihre zweite große Angst. „Es macht mich unsicher, daß der Euro kommt. Ich fürchte, daß wir dann wieder alles verlieren.“

Beate Willms