piwik no script img

Malen mit vollem Geldbeutel

Er war ein Dandy und Dadaist, der am Ende auch nur nackte Frauen porträtierte. Jetzt wird Francis Picabia in Hamburg sogar als Vater der Postmoderne vorgeführt  ■ Von Hajo Schiff

Seine Frauenakte sind krude, die Landschaften klischeehaft, und unter Abstraktion verstand Francis Picabia offenbar eine schwarze Leinwand mit fünf Punkten. Trotzdem versucht die Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen, das seit 1933 entstandene Spätwerk Picabias zu rehabilitieren.

Der 1879 in Paris geborene Picabia ist eine der schillerndsten Künstlerfiguren der Moderne. Seine spanisch-kubanisch-französische Familie stattete ihn mit genug Vermögen aus, um sorglos offen für alles Neue zu sein: Er steht im Zentrum der Erfindung von Abstraktion, Dada und Surrealismus, bricht aber stets nach wenigen Jahren mit den neuen Gruppierungen, wenn sie sich ideologisch verfestigen: „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“, so Picabia.

Aktueller Anlaß der Ausstellung in Hamburg ist die vor kurzem von der französischen Kunstgeschichtlerin Sara Cochran gemachte Entdeckung, daß Picabias oft gescholtene Aktbilder eine direkte Umsetzung von Fotos aus halbseidenen Erotikmagazinen sind. Bisher nahm die Kunstgeschichtsschreibung mit Unbehagen an, die 24 bekannten Nacktszenen seien für algerische Boudoirs gemalt worden. Picabia habe diese Auftragssarbeiten nur angenommen, um sein aufwendiges Leben in Südfrankreich zu finanzieren. Doch auch durch den eindeutigen Nachweis ihrer fotografischen Quelle ist dieser Verdacht nicht aufgehoben. Die Bilder werden dadurch kaum besser, nur als Dialog der Medien besser rezipierbar.

Mag sein, daß die Akte der vierziger Jahre eine frühe Form medialer Reflexion sind oder gar eine ironische Entlarvung des Realismus, wie ihn die Diktaturen liebten. Fotografien wurden jedoch schon seit ihrer Erfindung von Malern als Hilfsmittel genutzt, ohne daß die Übertragung selbst zum Thema wurde. Ebendieses Konzept legt die Ausstellung in den Deichtorhallen jetzt nahe: Picabias realistische Bilder seien weder als simpler Realismus noch neoklassizistisch-allegorisch oder gar metaphysisch zu lesen, sondern als Zitate von Populärkultur. Seine abstrakten Bilder dagegen sind mehrfache Übermalungen voller figurativer Verweise, was wiederum in einem für eine Woche gesponserten mobilen Röntgenlabor für über zwanzig Bilder überprüft und belegt wurde. Mit diesen beiden Sichtweisen wird für den Ex- Dadaisten und Einzelkämpfer der Moderne die Überlegenheit seines Denkens noch für den schlaffsten Pinselstrich gerettet. Und so öffnet sich ohne schlechtes Gewissen die Tür zum Genuß einer bunten, postmodernen Bilderkammer, deren Arbeiten auffällig zahlreich aus Privatbesitz stammen.

Es ist richtig, die Generation heutiger Malerstars wie Martin Kippenberger, Sigmar Polke oder Julian Schnabel wurde von Picabia beeinflußt – doch weniger vom Spätwerk, als von den früheren „Transparenzen“ mit ihren mehrfachen Überlagerungen. Dabei bringen solche Wirkungen ein merkwürdiges und mißverständliches Spiel der Kunstvermittlung in Gang: Die Anregungen und Schlußfolgerungen, die spätere Künstler aus einem Werk ziehen, werden bereits zu den ausdrücklichen Intentionen des früheren Künstlers erklärt. So wird die Rezeptionsgeschichte in die Produktionsästhetik verlagert.

Der nicht nur hier im Katalog der Ausstellung verwendete Begriff des „Vorgriffs“ auf spätere Sichtweisen ist ein logisches Mißverständnis, das sich durch häufige Verwendung in der Kunstbeschreibung festgesetzt hat. Bestenfalls kann diese Vokabel dazu dienen, jene Komplexität zu bezeichnen, die der Nachwelt neue Fragen an ein Werk erlaubt und es so lebendig erhält. Die Frage nach dem Kontext von Kunst ergäbe keinen Sinn mehr, räumte man den Künstlern die prophetische Gabe ein, allen möglichen späteren Rezeptionsdiskursen „vorzugreifen“. (Mit hinreichendem Interesse an abseitigem Wissen kann auch die Pyramidenstumpf-Würfel-Architektur der neuen Hamburger Galerie der Gegenwart auf das formähnliche Kastell von Lucera in Unteritalien bezogen werden, das Kaiser Friedrich II. um 1240 bauen ließ.)

Einen Vorteil hat allerdings jede Picabia-Ausstellung: Sie befördert den Streit über grundsätzliche Kriterien und Definitionen von Kunst. Bemerkenswert ist, daß gerade heute die antimoderne Provokation eines Künstlers der Moderne so herausgestellt wird. Denn mit seiner Adaption des harten Realismus, der auch zur Leitschnur totalitärer Kunst der Diktaturen in Ost und West wurde, brüskierte Picabia nach 1933 vor allem seine Avantgardefreunde. Das einzig Verbindliche für Picabia war sein Dandytum in Kunst und Leben. Er sammelte Autos und Jachten, feierte ironisch die Apokalypse und verbrachte den Krieg unter der Vichy-Regierung demonstrativ in Luxus.

Kein Wunder, daß ihm 1944 Kollaboration vorgeworfen wurde, was allerdings nie zu beweisen war. Der Gedanke ist ebenso naheliegend wie absurd bei jemandem, der sich den Luxus leistete, niemals irgendeine verbindliche Position zu beziehen, weder künstlerisch noch politisch. Kann es sein, daß gerade dieses „anything goes“ ihn heute wieder so attraktiv macht? Mehr denn je bereichern sich zynische Kapitalmarktspieler auch an der Kultur – auf gesellschaftspolitische Zusammenhänge wird, ganz nach dem gelebten Vorbild des Meisters, fröhlich gepfiffen. „Man muß Nomade sein, durch die Ideen ziehen, wie man durch Länder und Städte zieht“, philosophierte Picabia, und das paßt doch gut zur heutigen Diskussion um Globalisierung. Aber gegen jede Vereinnahmung gleich welcher Art hat der radikale Individualist Picabia eine andere Formulierung parat: „Wer mit mir ist, ist gegen mich.“

Francis Picabia bietet in durchgehaltener Inkonsequenz nahezu sämtliche Kunstmöglichkeiten dieses Jahrhunderts. Und auf diesen Aspekt mag auch die Hamburger Ausstellung nicht verzichten: Wer statt des Spätwerks lieber doch den aufmüpfigen Artisten der frühen Jahre schätzt, kann die 1917–1924 von Picabia selbst publizierte Kunstzeitschrift „391“ studieren oder sich dem zeitlosen Witz des von Picabia wesentlich bestimmten Filmklassikers „entr'acte“ von 1924 überlassen.

Bis 1.2. 1998, Deichtorhallen Hamburg; ab 28.2., Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam. Katalog, Hatje Verlag, 39,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen