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Punker von der Vogelweide

■ Die Potsdamer Teufelsgeiger von „The Inchtabotables“spielten Sonntag abend im Schlachthof

Jetzt kommen sie schon im vierten Jahr in den Schlachthof, und es ist immer noch nicht klar, ob denn nun wirklich ein australisches Slangwort für „Hochstapler“ihr Bandname ist, oder ob die fünf Potsdamer ihrem Publikum mit einem Phantasiewort einen Bären aufbinden. Sie wirken heute nicht mehr ganz so hungrig, wild und wütend wie in den letzten Jahren, und ihre „fake-folklore“ist inzwischen zwar nicht gerade glattpoliert, aber hat doch schon machmal ein verdächtig kantenloses Design. Wo der Bandleader B. Beuler früher als nie stillstehender Derwisch der Gruppe ständig wild auf seiner Violine kratzte, gibt es jetzt solche Theatereffekte wie Infrarot-Licht oder ein Gummibein mit aufgemalten Blutflecken, das der Schlagzeuger beim Song „Beil“hübsch gruselig auf die Bühne wirft. Sie ist perfekter, aber damit leider auch harmloser geworden, diese Melange von Einflüssen aus wüsteren Zeiten und kärgeren Gegenden: schottische Spottlieder, mittelalterliche Veitstänze, irischer Folk und die Lyrik eines Walther von der Vogelweide werden von der Band mit einer gehörigen Portion dreckigem Punk vermischt. Genauso ungewöhnlich ist auch die Instrumentierung: Zwei Geiger und ein Cellist haben offensichtlich Sehnsucht nach einer Gitarre, denn sie halten und martern ihre Instrumente meist so, als wären es nicht Fiedeln sondern Klampfen. Zusammen mit Bass und Schlagzeug erzeugt die Band so einen hochnervösen, rockigen Sound, der immer bis zum Äußersten hochgespannt klingt. Inzwischen erkennt man viel deutlicher die genau choreographierte Bühnenshow hinter den brachialen Gebärden der Musiker. Und so verwundert es heute nicht mehr, daß letztlich jede Note ganz genau sitzt bei dieser sehr komplexen Mischung alter, plebejischer Stile mit Rockrhythmen, die mal in holprigem Englisch gesungen, mal in Deutsch geschrien wird.

Jetzt wird auch deutlich, daß „The Inchtabokatables“im Grunde die Kinder (oder schon Enkel?) von Ian Anderson und Jethro Tull sind. Wo dieser einbeinig seine Querflöte spielte, tanzt B. Breuler mit seiner Fiedel im Publikum herum.

Wilfried Hippen

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