Was bleibt, ist die Hoffnung, mit den letzten Gedanken gehört zu werden

Die Fotos sind wie Vorboten – und sie ähneln sich. Sie zeigen die Wangen hager und ausgezehrt, das Haar lichter, den Blick seltsam intensiv. Rudolf Bahro war nicht der erste, der sich in den Medien noch zu Wort meldete, als ihm der Tod bereits im Gesicht geschrieben stand. Kurz bevor Bahro sich im Juni 1995 vom Spiegel auf seinem Krankenbett fotografieren ließ, waren in der Presse Aufnahmen des schwerkranken Hanns Joachim Friedrichs abgedruckt worden. Auch nachdem Anfang 1997 Jurek Becker gestorben war, erschien ein Porträt, das die Fotografin Herlinde Koelbl wenige Wochen zuvor in seiner Wohnung aufgenommen hatte. Alle drei, der „Tagesthemen“-Moderator, der Schriftsteller und der Dissident, wußten um ihren drohenden Tod – und entschlossen sich, darüber öffentlich zu sprechen.

Die Tür zu Rudolf Bahros Krankenzimmer stand fast bis zum Schluß offen, auch für Journalisten. „Ich habe Blutkrebs und liege hier seit drei Monaten. Ob ich aus der Sackgasse herauskomme, weiß ich nicht“, konstatierte er bereits 1995. Weitere Interviews folgten, bis kurz vor seinem Tod. Auch Friedrichs beantwortete die Frage nach dem Krebs umstandslos und detailliert: „Nein, Schmerzen habe ich nicht, ich würde lieber Schmerzen haben als dieses hohe Fieber. Ich hab' ganz dünne Beinchen, ganz dünne Ärmchen.“

Vor wenigen Jahren noch sah der Umgang mit dem Tod meist anders aus. Politiker wie Wehner und Brandt oder Stars wie Marlene Dietrich versuchten sich wenigstens im Sterben in eine Privatheit zu flüchten, die ihnen während ihres Lebens verlorengegangen war. Die Rollen waren eindeutig verteilt: Die Medien waren die Jäger, die Promis die Opfer.

Der Journalist Friedrichs ließ diese Logik nur bedingt gelten. „Du kannst, wenn du über längere Zeit dein Gesicht im Fernsehen zeigst, viele Dinge nicht mehr tun, die andere Leute tun können, auch nicht in Ruhe sterben. Das ist nun mal so.“ Fünf Stunden lang erzählte Friedrichs dem Spiegel von seinem Leben und seiner Krankheit. Rudolf Bahro berichtete von Plänen für weitere Arbeit: „Ich habe im Krankenhaus einen noch unveröffentlichten Essay über die Befreiung aus dem Untergang der DDR geschrieben.“

Die Hoffnung, mit ihren letzten Gedanken nicht unterzugehen, hat wohl alle drei bewegt. „Meine Krankheit hat mir geholfen zu sehen, daß auch Leute aus ganz anderen Lagern Momente der Wahrheit vertreten“, sagte Bahro am 17.11.95 in der taz. Becker gab sich unverwechselbar lakonisch auf die Frage, ob sich sein Verhältnis zum Leben verändert habe. Ja, das Treppensteigen falle ihm schwerer. Patrik Schwarz