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Neuer Weg oder Einstieg ins Lohndumping?

■ Viele Arbeitslose sehen Leiharbeit als Chance – trotz hoher Anforderungen und Niedriglohn

Aus der Schmuddelecke ans Licht der Öffentlichkeit: Die Leiharbeit wird salonfähig. „Grund für die Zugewinne der Branche ist auch unser neues Image“, sagt , Gunhild Blankenstein von Randstad Zeit-Arbeit. Die Branche gibt sich offensiv. Den Vorwurf, Zeitarbeit zerstöre feste Arbeitsplätze, will Gunhild Blankenstein nicht gelten lassen. „Da, wo unsere Leute eingesetzt werden, ist gar nicht der Bedarf für eine feste Stelle vorhanden. Zeitarbeiter werden hauptsächlich für befristete Projekte, in Auftragsspitzen oder als Urlaubs-, Krankheits- und Schwangerschaftsvertretungen engagiert.“

Tatsächlich scheint Zeitarbeit für viele eine Chance zum Wiedereinstieg in eine feste Beschäftigung. 60 Prozent der Zeitarbeiter waren vorher arbeitslos. Mit den Verleihfirmen schließen sie einen unbefristeten Vertrag ab, sämtliche Sozialleistungen, mehrwöchigen Jahresurlaub, teilweise sogar Weihnachtsgeld inklusive. Nur rund 20 Prozent aller Zeitarbeiter bleiben länger als ein halbes Jahr in der Branche. „Ein Drittel unserer Mitarbeiter wird in eine feste Stelle abgeworben“, sagt Gunhild Blankenstein.

Darauf hofft auch Hans-Joachim Petschert. Der gelernte Schlosser und Gas-Wasser-Installateur war zehn Monate arbeitslos, bevor er im November bei Randstad anfing. „Ich würde das auch länger machen. Aber natürlich hoffe ich auf eine feste Stelle."

Zeitarbeit verlangt eine hohe Flexibilität und möglichst auch Qualifikation – die Nachfrage nach ausgebildeten Fremdsprachenkorrespondentinnen, Facharbeitern und Ingenieuren steigt. Zeitarbeiter werden in der Regel nur wenige Wochen auf einer Stelle eingesetzt, dann wechseln sie zur nächsten. Dort warten nicht nur neue Arbeitsbedingungen und Kollegen, sondern mitunter auch ganz andere Aufgaben oder Tätigkeitsfelder. Die Vergütung liegt weit unter Tarif.

„So kann man das nicht sagen“, wiegelt Barbara Cembala von Manpower ab. „Natürlich können wir mit dem Bruttolohn einer Sekretärin im 20. Berufsjahr nicht mithalten. Aber eine Berufsanfängerin verdient bei uns etwa soviel wie ihre festangestellte Kollegin am Einsatzort. Und Zeitarbeit wird überwiegend von jungen Leuten gemacht.“ Bei Randstad räumt man immerhin ein, daß „unsere Zeitarbeiter vielleicht 10 bis 15 Prozent unter Tarif verdienen“. Eine unabhängige Studie, die mit Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit rechnet, kommt zu anderen Ergebnissen: Durchschnittlich verdient ein Zeitarbeiter um die 40 Prozent weniger als sein festangestellter Kollege.

Bei den Kollegen sind Zeitarbeiter wegen der Dumpinglöhne unbeliebt. Zeigen sie doch durch ihre bloße Anwesenheit im Betrieb, daß andere die gleiche Arbeit auch für deutlich weniger Geld machen. „Man wird schon mal als Mensch zweiter Klasse behandelt. Aber das muß man sich ja nicht gefallen lassen“, sagt der Elektroingenieur Hermann Eiben.

Burkhard von Seggern, Referatsleiter beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), sieht das als gewollten Effekt. „Mit Leiharbeit werden die Tarifverträge unterlaufen. Leiharbeit ist keine Chance für den Arbeitsmarkt, sie zerstört langfristige Posten. Letztlich ist aber kein Unternehmen gut beraten, sich schlecht bezahlte und damit auch schlecht motivierte Leiharbeiter ins Haus zu holen.“ Amerikanische Verhältnisse – in den USA ist Branchenführer Manpower der größte Arbeitgeber – kann Seggern sich nicht vorstellen.

Er räumt ein, daß Zeitarbeit sinnvoll sein kann, wenn es tatsächlich „um Vertretungsbedarf geht. Darauf muß sie aber auch beschränkt bleiben. Und sie muß nach Tarif vergütet werden.“ Der DGB fordert eine stärkere Regulierung der Zeitarbeit. „Die Bundesregierung muß wieder stärker in den Markt eingreifen: Ein Leiharbeiter darf nicht länger als drei Monate an der gleichen Stelle eingesetzt werden. Sonst sind feste Stellen gefährdet.“ Sascha Borrée

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