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„Nun breche ich in Stücke“

Die heikle Verschränkung von Kunst und Leben: Sylvia Plaths Tagebücher wurden von Ehemann Ted Hughes zensiert, bieten aber manche Überraschung  ■ Von Bernd Erich Wöhrle

Der Tod im Gasherd als blendende Apotheose: Kresniks Tanztheaterstück „Sylvia Plath“ ist ganz auf dieses Ende hin inszeniert und zeigt exemplarisch, wie sehr die Wahrnehmung der amerikanischen Dichterin bis heute von den Umständen ihres Freitodes am 11. Februar 1963 bestimmt wird. Sylvia Plath hat jedoch ihrerseits an der Verschränkung von Leben und Kunst im Sinne einer autobiographical poetry kräftig mitgewirkt: „Ich bin das Werkzeug tragischer Erfahrungen“, notierte sie in ihrem Tagebuch, und das Thema Tod findet sich wie ein Basso ostinato vor allem in ihren späten Gedichten wieder. Zeilen wie „Die Frau ist vollendet / Ihr toter Körper trägt das Lächeln des Erreichten“ oder „Sterben ist eine Kunst wie alles / Ich kann es besonders schön“ überreden dazu, Kunst, Leben und Sterben Sylvia Plaths in eins zu setzen.

Dennoch ist dieser Blick unangemessen. Er verhindert die Wahrnehmung ihres vielstimmigen Werkes und verkennt, daß sie in ihrem Leben und Schreiben – mal selbstbewußt forciert, mal getrieben, mal hoffnungsfroh, mal verzweifelt – immer wieder neue Masken oder „Selbste“, wie sie es nannte, ausprobierte: „Ich steige aus dieser Haut von / Alten Verbänden, Langeweilen, alten Gesichtern / Steige zu dir aus dem schwarzen Wagen der Lethe / Rein wie ein Säugling“.

Einen Einblick in die heikle Verschränkung von Leben und Kunst bieten nun ihre endlich auf deutsch erschienenen Tagebücher. Die Aufzeichnungen beginnen mit den Notaten der Collegestudentin in den Jahren 1950 bis 1955 und enden mit Arbeitsskizzen der 29jährigen Lyrikerin, die an dem kurz vor ihrem Tod erschienenen autobiographischen Roman „The Bell Jar“ („Die Glasglocke“) schrieb und gerade ihren ersten Gedichtband „The Colossus“ herausgebracht hatte. Die 1982 in Amerika zuerst veröffentlichten Aufzeichnungen umfassen jedoch nur ein Drittel der ursprünglich geschriebenen Notizbücher. Ted Hughes, Sylvia Plaths Ehemann, erklärt in einem Vorwort, daß ein Teil „verschwunden“ sei und daß er das von Ende 1959 bis drei Tage vor ihrem Tod geführte Notizbuch vernichtet habe, um zu verhindern, daß ihre Kinder bestimmte Eintragungen je lesen müßten. Hughes strich darüber hinaus auch solche Stellen, die seiner Meinung nach schutzwürdige Belange der Familie und der Angehörigen betrafen. Es gibt jedoch auch Auslassungen, die ihn als Retuscheur und Zensor zeigen, der in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Plath-Bild durchsetzen möchte.

Dennoch bieten die veröffentlichten Tagebücher eine faustdicke Überraschung. Schon die Aufzeichnungen der 18jährigen im Jahre 1950 verbinden Introspektion – Plath bezeichnete ihr Tagebuchschreiben als „eine Litanei der Träume, der Weisungen und der Imperative“ – mit genauester Gesellschaftsanalyse. Der Tagebuchschreiberin bleibt ständig bewußt, daß auch ihr vermeintlich subjektivstes Wünschen, Begehren, Träumen durchsetzt, ja infiltriert ist von einem aus den Fugen geratenen Außen: „Irgendwann gewöhne ich mich wahrscheinlich an den Gedanken von Heiraten und Kinderkriegen. Hoffentlich zerstört es nicht meine Lust, mich in einer sinnlich auftrumpfenden Vieldeutigkeit auszudrücken. Klar, durch Heirat drückt man sich auch aus, aber hoffentlich ist meine Kunst, mein Schreiben nicht einfach die Sublimierung meiner sexuellen Wünsche, denn wenn ich erst mal heirate, sind sie gestillt.“

Damit setzt Sylvia Plath ihren Wunsch nach einem Mann, der „intelligent und doch körperlich anziehend und gutaussehend ist“, schon unter das Vorzeichen einer unmöglichen Möglichkeit. Wenige Eintragungen später findet sie sich wieder in der Falle der reinen Introspektion: „Heute bin ich häßlich. Die Hoffnung, etwas Männliches anzulocken, habe ich aufgegeben, und das ist für ein weibliches Tier ein ganz schön erschütterndes Übel.“ Wenig später nimmt sie den Gegenstand ihres Begehrens jedoch rollensoziologisch aufs Korn: „Sich nach einem Wesen des anderen Geschlechts zu sehnen ..., um herauszufinden, daß die meisten amerikanischen Männer Frauen nur als Sexmaschinen mit runden Brüsten und einer praktischen Öffnung in der Vagina verehren können, als bemalte Puppen, die in ihrem hübschen Kopf an nichts anderes denken sollten als daran, ein Steak zum Abendessen zu braten und den Mann nach acht Stunden harter Geschäftsroutine im Bett zu trösten“.

Für ein wohlbehütetes, der amerikanischen Mittelklasse angehörendes Collegegirl in den prüden fünfziger Jahren sind das starke Worte. Nicht von ungefähr findet sich nach solchen Betrachtungen des öfteren die Bemerkung: „Ich glaube, ich werde verrückt.“ Und manchmal überfällt sie Panik, sich zu weit vorgewagt zu haben. „Ich habe Angst, die blanke Hölle hinter meinen Augen könnte durchbrechen, herausschießen wie eine dunkle Seuche.“ Plath war sich ihrer singulären Position durchaus bewußt – und sie zerbrach daran. Ihr Suizidversuch 1953 in ihrem Elternhaus und die wiederholten Elektro- und Insulinschocktherapien zeigen deutlich, daß das ständige Oszillieren zwischen Anpassung und Widerstand, die Schärfe ihres desillusionierenden Blicks einen hohen Tribut forderten.

Einerseits – und darüber geben die Notizbücher detailliert Auskunft – überließ Plath sich gerne dem „dionysischen Auf und Ab ihres Lebens, dem Sichtreibenlassen im ,Saragossameer‘ ihres Unbewußten“. Andererseits ging es ihr darum, das so gewonnene Erlebnismaterial zur apollinischen Reinheit der Form zu schmieden. Sie fürchtete sich davor, und ihr Formbewußtsein ließ dies auch nicht zu, daß aus der autobiographical poetry, zu der sie sich, als eine Art écriture féminine, lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab, bekannte, eine bad poetry, der mißlungene Bastard einer aus halb Leben, halb Kunst bestehenden Ausdrucksform, wurde. Und mit Erstaunen stellt man beim Lesen der Notizbücher fest, daß schon bei der 18- bis 20jährigen Sylvia Plath sämtliche Kunst- und Lebensmotive versammelt sind, die ihren weiteren Werdegang bestimmten.

Eine große Zäsur stellt die gleichermaßen produktive wie auch verhängnisvolle Beziehung zu dem englischen Lyriker Ted Hughes dar, den sie 1956 heiratete, der sie 1962 verließ. Als verlassene Ehefrau schrieb sie ab vier Uhr morgens jenen Gedichtzyklus, der sie nach ihrem Tod weltberühmt machen sollte. „Ariel“, ein furioses, alle Brücken hinter sich abreißendes Kondensat, darunter auch das Gedicht „Daddy“, das mit der Zeile endet: „Daddy, daddy, you bastard, I'm through“. „Daddy“ war eine Abrechnung mit den wechselnden Vaterimagos in ihrem Leben und implizit mit Ted Hughes. Er war lange Zeit ihr intellektueller Mentor. In ihm sah sie die große Passion ihres Lebens. Doch sie befreite sich von ihm, als sie endlich ihrer eigenen dichterischen Radikalität traute.

Am 26. Februar 1956 notierte Sylvia Plath, wie sie ihren „Traummann“ auf einer Party kennenlernte: „Dann geschah das Schlimmste, dieser große, dunkle, wunderbare Kerl, der einzige, der groß genug für mich war, kam herüber und schaute mir tief in die Augen, und es war Ted Hughes.“ Wenig später zogen sich die beiden in ein benachbartes Zimmer zurück, unterhielten sich schreiend über Rezensionen, wobei „überraschend oft die Worte ,mit dem Verleger schlafen‘ fielen“. „Und dann stellte sich heraus, daß mir das alles klar war, und ich stampfte und schrie ja. Und er stampfte auf den Boden, und dann küßte er mich, Knall, Boing auf den Mund (...) Und als er meinen Hals küßte, biß ich ihn heftig und lang in die Wange, und als er aus dem Zimmer ging, lief ihm Blut übers Gesicht.“

Diese Beiß-Attacke wirkt – hinter der von Hughes zu verantwortenden Auslassung – ziemlich unmotiviert. In der 1989 erschienenen Plath-Biographie von Anne Stevenson ist die Stelle unzensiert nachzulesen: „... und dann küßte er mich, Knall, Boing auf den Mund und reißt mir das Haarband vom Kopf, mein schönes rotes Haarband, das die Sonne und viel Liebe überlebt hatte, so eines, wie ich es wohl nie wiederfinden werde, und meine silbernen Lieblingsohringe: ,Ha, die werde ich behalten‘, brüllte er“. Auslassung Ende und weiter wie oben.

Der Unterschied ist ein Unterschied ums Ganze: Statt als Attacke wie in der zensierten Fassung erscheint der Biß nun als Gegenwehr. Die Auslassungen und die damit intendierten Absichten sind ein Indiz dafür, wie wirkungsmächtig Leben und Werk Sylvia Plaths immer noch sind. Die Leser werden in den Tagebüchern mit einer Autorin konfrontiert, die sich entschlossen hat, das Leben und die Kunst in extremis auszuprobieren: „Nun breche ich in Stücke, die fliegen umher wie Keulen.“ Bleibt hinzuzufügen, daß die Übertragung von Alissa Walser im Ganzen gelungen ist, obgleich es hin und wieder einige holprige 1:1-Übersetzungen gibt.

Sylvia Plath: „Die Tagebücher“ Herausgegeben von Frances McCullough, Vorwort von Ted Hughes. Aus dem Amerikanischen von Alissa Walser. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main 1997, 492 Seiten, 54 DM

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