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Durch Zeit und Raum

■ Momente des Wiedererkennens: Der Filmemacher Peter Sempel zeigt in der Gallery 36 seine visuellen „Zwischendurchproduktionen“

„You can depend on cruelty“– auf Grausamkeit kannst du dich verlassen, auf Roheit in Gedanken und Ton, heißt es in einem Song von Lou Reed, der wie ein melancholischer Schatten die Kosten der Unabhängigkeit nennt: „You need a busload of faith to get by“. Eine Busladung voll Vertrauen braucht es, um zurechtzukommen. Erst recht, wenn man es mit der Unabhängigkeit ernst meint.

So wie der Hamburger Filmemacher Peter Sempel, der seit 1981 radikal und ausdruckssüchtig an der eigenen künstlerischen Bild- und immer auch an der finanziellen Gefahrengrenze arbeitet. 1954 in Hamburg geboren, in Australien aufgewachsen, lebt und arbeitet Sempel seit 1969 wieder in Hamburg. Inzwischen aber längst auch in Los Angeles oder in New York. Oder in Tokio oder in Sao Paulo. Sempel reist und bewegt sich ständig: mit dem unabhängigen Film – und der unabhängige Film mit ihm.

Von der Musik her sei er eigentlich zum Film gekommen. Niemals habe ich im Kino die Musik gehört, die ich liebe“, erzählt er und deutet damit vorsichtig an, welchen enormen Stellenwert Klänge jeder Dichte und jeder Farbe bei der Entwicklung der eigenen vir-tuosen Filmsprache hatten. Eine Tatsache, die der Titel seiner aktuellen Fotoausstellung in der Gallery 36 lakonisch vermerkt: „15 Jahre Musik- und Tanzfilme von Altona um den Globus hin und her“. „Ein-, zweimal im Jahr“zeigt Sempel, der lange und geduldig-genau an seinen Werken arbeitet, der Einstellungen abwarten und ihnen über weite oder nahe Distanzen auf die Spur kommen kann, solche „Zwischendurchproduktionen“, bindet sie quer in die Zeit der laufenden Projekte ein.

In diesem Fall liegt das fotografische Zwischen inmitten einer neuen wichtigen Arbeit über Nina Hagen. Es liegt ihm daran, daß die gezeigten Fotografien inhaltlich nicht auf bloße Nebenprodukte oder Verlaufsprotokolle der Kamara reduziert werden. Akribisch ausgeleuchtet wie sie sind, verlangen sie – und darauf besteht Sempel nachdrücklich – auch als Szenenfotos ihren eigenen Rahmen.

Nick Cave und Blixa Bargeld zum Beispiel sitzen versunken am Tresen, Glas und Flasche in natürlicher Reichweite. In einer Szene aus dem Film Dandy, dem ersten internationalen Erfolg des Regisseurs, läßt Cave die Würfel fallen. Die Hand wie im Zauber im Licht.

Die Fotos sind liebesbeweisende Porträts und Dokumente künstlerischer Selbstverständigung in einem. Sie zitieren die filmische Arbeit, verweisen darin auf herausgehobene zärtliche, traurige oder schöne Momente. Dabei wird, wie in Sempels Filmen, der Blick zum persönlichen Index. „Jonas + his Bolex“. Wie ein privates Kürzel vermerkt der ins Bild gekritzelte, fast kindliche Kommentar die radikale künstlerische Nähe zum Gegenüber: Jonas Mekas, der Altmeister des Independentfilms steht gelassen da (Jonas In The Desert, 1994). Seine Handkamara aber, weit mehr als bloßes technisches Gerät, wird zum Würdenträgers des unabhängigen Kinos schlechthin.

Die Ausstellung in der Gallery 36, die neben ihren berühmten Außenseitern, Underground-Stars und Punk-Ikonen, ab Januar auch Porträts von 20 Hamburger Künstlern zeigt, ist ein verhältnismäßig winziger Teil eines obsessiven Arbeitsvorgangs. Fern von jeder etablierten Werkschau und doch sehnsüchtig auf der Suche: nach einem Moment des Wiedererkennens.

Elisabeth Wagner

täglich (außer So), ab 21 Uhr, Gallery 36, Große Freiheit 36

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