piwik no script img

Zurück in ein fremdes Land

Obwohl seine sorgeberechtigten Familienangehörigen in Hamburg leben, soll 15jähriger Türke umgehend abgeschoben werden  ■ Von Marco Carini

Seit sechs Jahren lebt der fünfzehnjährige Zülfü Y. bereits in Hamburg. Er ist bei seinen Großeltern gemeldet, in einer „Schule für geistig Behinderte“ist der lernschwache Junge voll integriert. Doch damit soll jetzt, geht es nach der Ausländerbehörde, Schluß sein. Obwohl ein türkisches Gericht Zülfüs in Hamburg lebendem Opa das Sorgerecht übertrug, weil die mittellosen Eltern des Jungen nicht in der Lage seien, sich um ihren Sproß zu kümmern, will das Amt den Minderjährigen in eine ungewisse Zukunft abschieben. „Wenn das passiert“, ahnt seine Tante Cedim Y., „erwartet Zülfü eine Zukunft als Bettler am Straßenrand.“

„Eine Familienzusammenführung zu den Großeltern ist nicht möglich, da die Einreise ohne das erforderliche Visum erfolgte“, begründet die Ausländerbehörde ihren Abschiebungsbeschluß. Deshalb halte „sich das Kind seit August 1991 illegal im Bundesgebiet auf“. Vergangenen Freitag lief die letzte Duldung des 15jährigen aus. Zwar hat Udo Smetan, der Anwalt der Familie Y., Widerspruch gegen den Beschluß samt aufschiebender Wirkung beantragt, doch die dürfte schon in den nächsten Tagen abgelehnt werden.

Danach heißt es für den 15jährigen: abtauchen in die Illegalität oder Rückkehr in ein Land, in dem er keine Wurzeln mehr hat. Im kurdischen Teil der Türkei aufgewachsen, spricht der Minderjährige die türkische Sprache nur leidlich. Der Aufenthalt seiner Eltern ist selbst den Behörden unbekannt. Und das Dorf, in dem der Junge aufwuchs, existiert längst nicht mehr. Es wurde in den blutigen Kämpfen zwischen der kurdischen PKK und den türkischen Regierungstruppen dem Erdboden gleichgemacht.

„Tatsächlich wurde 1991 der Fehler gemacht, für Zülfü kein Visum zu beantragen“, räumt Udo Smetan ein: „Das soll ihm jetzt zum Verhängnis werden.“Die in Hamburg lebenden Verwandten des damals Neunjährigen, waren davon ausgegangen, daß ausländische Kinder, die zu ihrer Familie nachreisen, kein solches Dokument brauchten. Das aber gilt nur, wenn die leiblichen Eltern ihr Kind bei sich aufnehmen.

Daß Zülfüs Eltern das Sorgerecht für ihren Sproß vom Amtsgericht in Pülümür längst entzogen und dem in Hamburg lebenden Großvater des Jungen, Mehmet Y., zugesprochen wurde, bestreitet die Ausländerbehörde zwar nicht, doch sei ein Aufenthaltsrecht daraus nicht abzuleiten. Das türkische Gericht hatte 1995 bestätigt, daß die leiblichen Eltern finanziell nicht in der Lage seien, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern.

Da die Ausländerbehörde in ihrem Abschiebebeschluß trotzdem fein zwischen leiblichen Eltern und sorgeberechtigtem Großvater unterscheidet, will Anwalt Smetan nach dem Ausländerbeauftragten nun den Petitionsausschuß der Bürgerschaft anrufen. Eine Adoption des Fünfzehnjährigen durch seinen Großvater wäre zwar rechtlich möglich und könnte sein Aufenthaltsrecht auch sichern, so Smetan. Doch bliebe dazu nun keine Zeit mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen