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Goetz will das Lügen lernen

Berliner Theatermacher haben mit Inhaftierten der Justizvollzugsanstalt Tegel das Theater AufBruch gegründet. Mit den „Räubern“ als „Tegeler Mischung“ kommen alle Beteiligten auf ihre Kosten, voyeuristisches Interesse des Publikums wird gern bedient  ■ Von Petra Brändle

Die „JVA Tegel“ kennt hier im nordwestlichen Ende Berlins keiner. Justizvollzugsanstalt? Das ist ein Knast, keine Euphemismen bitte! Die Gegend: nüchtern. Die Toiletten stinken, Türen öffnen sich sich nur für einzelne, um direkt hinter ihnen wieder ins Schloß zu fallen. Mit einem hastigen pneumatischen Seufzen. Pfzztplogzzzt. Drinnen.

„Wieso bist du da?“ Nach einer halben Stunde drehen die Tegeler Räuber im Kultursaal den Spieß um, nehmen des Zuschauers voyeuristische Neigung aufs Korn. Als Entertainer mit Mikro geht ein schwarzer Räuber durch die Reihen. Die erste Zuschauerin ist von draußen gekommen, weil ihr Mann spielt, der nächste aus einer Zelle, weil er Abwechslung sucht, die dritte sagt: „Ich will dich sehen.“ Das ist direkt und wunderbar zweideutig, denn der Entertainer, Mac Daddy, ist ein schöner Mann, ohne Zweifel. Muskelbepackt überdies, wie nicht wenige seiner Räuberkollegen. Er hat Zeit für Körpertraining und zeigt uns das Ergebnis gern im Unterhemd. Wir, das sind die von draußen, vorne plaziert, dahinter stehen die, die sowieso hier sind, die Knackies.

„Räuber. Tegeler Mischung“: Das ist die zweite Inszenierung der Theatergruppe AufBruch. Seit einem Jahr arbeiten der Regisseur Roland Brus sowie Gudrun Herrbold und Armin Zarbock, zwei Schauspieler der Berliner Off- Gruppe Theater für Trillionen, mit Langzeitgefangenen in der JVA Tegel. Unterstützt wird ihre Initiative von dem schon länger bestehenden Projekt „Kunst im Knast“, und auch vom Kultursenat gibt's ein paar Mark.

Ein ungewöhnliches Projekt – aber typisch für Roland Brus, feierte der Mittdreißiger als Regisseur doch bereits mit der Berliner Obdachlosentheatergruppe Ratten 07 Erfolge. Nun also eine Knastgruppe. Mit „Stein und Fleisch“ trat das Ensemble AufBruch im Sommer diesen Jahres erstmals auf – eine Arbeit, die als Work in Progress während der Proben entstand. Das „Räuber“- Projekt, das mehr oder minder dem Schillerschen Text folgt, ist das vorerst letzte, das Roland Brus leitet: Das Stadttheater lockt. Gudrun Herrbold und Armin Zarbock planen, die Gruppe weiterzuführen.

Zurück in den Kultursaal. Zum Zeitpunkt der Entertainer-Nummer ist der Spaß schon voll im Rollen. Acht Gesellen haben Einzug gehalten, lümmeln sich in ihren Schubkarren, die mit Matratzen gepolstert sind, derweil der alte Moor, gespielt von Goetz, ein König im Unterhemd und mit goldener Pappkrone, auf dem Sofa ein köstlich angedeutetes Alterskopfwackeln pflegt. Sie necken sich, bauen spontan kleine Gags ein. „Spiegelberg, Roller!“ ruft beispielsweise Wolfgang nach seinen Räuberkollegen, inspiziert die Zuschauerreihen und zieht noch eine Runde und noch eine, immer weiter rufend. Ein Blick zu den Aufsehern hinter Gittern, nein, auch da ist keiner. Das Publikum prustet, Wolfgang sonnt sich, der Liebling der Inszenierung steht nach wenigen Minuten fest. Draußen ist der Star laut Programmzettel und Selbstauskunft „Alkoholiker oder Einbrecher“.

Zwölf Gefangene und zwei Schauspieler „von draußen“, Menschen insgesamt acht verschiedener Nationalitäten, geben die „Räuber“ – „aus dem Stück von Friedrich Schiller“. Erstellt von Hans-Joachim Neubauer, dem Dramaturgen der Truppe. Geboten wird Schiller im Telegrammstil, mit erheblichem Anteil an Comicsprache – was gesagt wird, ist nicht immer verständlich. Und der Inhalt: skelettös, low-level! Das Sturm-und-Drang-Original als Rudiment, die Gebrüder Moor haben kaum was zu vermelden. Hauptmann Karl, ein Schauspieler „von draußen“ war zu stark und wurde zwei Tage zuvor von der Regie entmachtet. Jetzt ist er Marionette der Räuber, Stichwortgeber. Mit dem Textheft in der Hand spielt er keinen an die Wand.

Karls übler Bruder Franz hingegen existiert als Doppelpack: Per Kostüm zusammengehalten werden ein Gefangener und einer von draußen. Haut an Haut „trägt“ der Schauspieler Armin Zarbock sein Pendant Matthias fast unmerklich durch die schwierige Rolle des Bösewichts. Völlig frei jedoch spielt Matthias für kurze Momente eine köstlich-komische Amalie, die Geliebte Karl Moors. Johlend honoriert das Gefangenenpublikum seine „weiche“, etwas verunsicherte und sehr süße Amalia in lila Perücke und Lippenstift. Ein Frauenklischee weckt urplötzlich die Platzhirsche, Macht- und Geschlechterverhältnis werden hinter diesen Posen greifbar. Nein, in dieser Amalie möcht' ich nicht stecken.

Mit diesem bißchen ist das Thema Liebe/Frauen abgehandelt – gestreift werden weiter naheliegende Themen wie Kampf, Ehre, Macht und, ganz oben auf der Hitliste, die Freiheit. Da skandiert die Räuberbande mit Herz; Befreiungswitzchen ziehen immer. Der Gag zählt, zur Tritschtratsch-Polka schließlich ist die Bande kaum mehr zu halten: Clowns und Könige in einem. Show pur eben, jeder wie er kann und alle zusammen besser als zig dieser teuer bezahlten Hochglanz-Revuen mit typischem „Spontan“-Witz. Allerdings: hier gibt es keine Qualitätsgarantie.

Noch mehr Vergnügen haben die Gefangenen daran, ihren Alltag einzubauen: Das Essen der Räuber wird aus der Mülltonne (Szenenapplaus aus den hinteren Reihen) serviert, die Theaterpause wird zur „Freistunde“, in der die Darsteller, Hände auf dem Rücken, lustlos im Kreis herumschlappen.

Das Vergnügen pendelt sich wohlausgewogen zwischen Zuschauern und Spielern ein, ein Pingpong-Spiel ohne moralischen Schiedsrichter. Keiner, der „die da“ vorführt, damit die Schiller- Tegelsche Anstalt angemessen belehrt wieder verlassen werden kann. Brus beweist ein Gespür für engagiertes Nicht-Zeigefinger- Spiel. Bei ihm haben die Schauspieler/Gefangenen ihre Rollen- Freiheit, behalten ihre Würde. Weder sympathisierende Verbrüderungstendenzen noch paternalistisches Mitleid kommt auf.

Die Sinnfrage, gelegentlich hartnäckige Begleiterin im Theater, verflüchtigt sich während der „Tegeler Mischung“ rasch. Denn hinter den Mätzchen der Spieler, trotz all ihrer Grobheit und Instabilität im Rollenspiel, steht ihr Wollen. Sie wollen spielen, brauchen die Zuschauer (die Proben waren bezeichnenderweise oft schleppend) und nutzen die theatralen Stunden für ihr Interesse. Goetz etwa will „das Lügen lernen“. Ins Gefängnis habe ihn schließlich nur seine Unfähigkeit zu lügen, zu kommunizieren gebracht. Merkwürdige Motive, andere Realitäten, die hier mitspielen.

Außerdem bringen die Schauspieler von draußen gutes Essen mit. Armin Zarbock weiß nicht mehr, wer wen irgendwie mit seiner anderen Realität „ausbeutet“, trotzdem: Er macht weiter.

Man könnte Regisseur Brus und seiner Gruppe vorwerfen, sie benutzten eine Randgruppe für ihr Spiel. Doch es geht ihnen nicht um eine Art oberflächlicher Außenwirkung, ebensowenig um Therapie. Ihn treibt vielmehr die Suche nach der „Notwendigkeit des Theaters heute“ und die Suche nach den besseren Menschendarstellern – sind's die Schauspieler oder die Laien? Brecht, Pirandello und Artaud, das sind die Hausheiligen seiner Theaterarbeit. Im Gefängnis spiegelt sich für ihn die Realität draußen, Machtverhältnisse werden komprimiert. Aber natürlich will er, wie auch seine Mitstreiter des Kunstprojekts AufBruch, ganz schlicht zeigen: Die im Knast, das sind keine Monster!

Mag sein, daß der Holper-Schiller, den die Gefangenen geben, für manche eine Bedrohung deutschen Sprachguts darstellt. Schade, daß es keine Aufzeichnung der Mannheimer Uraufführung von 1782 gibt. Das muß erst eine bürgerliche Aufregung gewesen sein. Ein Skandal. Daß so was auch noch finanziell unterstützt wurde... Am liebsten hätte Herzog Karl Eugen von Württemberg den jungen Hitzkopf Schiller wohl verhaftet. Schön, daß die Geschichte manchmal ihren eigenen Lauf nimmt.

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