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Ein „alter“ Mann ist ganz allein

Auch nach dem 1:3 gegen den VfL Wolfsburg bleibt offen, ob die Malaise des Hamburger SV den Mittelstürmer Anthony Yeboah schwächt – oder andersherum  ■ Aus Hamburg Kai Rehländer

Nein, zu diesem Spiel wolle er nichts sagen. Anthony Yeboah entschwand mit einem Spurt in den Spielertunnel, noch ehe sich die Fernsehkameras aufgebaut hatten, um tiefschürfende O-Töne der ausgelaugten Spieler einzufangen. Für die Fans im sogenannten Motzblock des Volksparkstadions, den 35 Mark teuren Plätzen der Haupttribüne, war indes unumstritten, welche Fehler der Verantwortlichen des Hamburger Sportvereins dazu führten, daß sogar das Heimspiel gegen den Aufsteiger VfL Wolfsburg mit 1:2 verlorenging.

„Einen so alten Mann zu holen“, wurde gezetert und sich damit auf die Bild-Zeitung berufen, die darauf beharrt, daß Anthony Yeboah das fußballerische Greisenalter von 39 Jahren erreicht habe und sein Geburtsdatum nicht der 6. Juni 1966 sei, wie es in der „ran“-Datenbank verzeichnet ist. Als Grund für den Frust der Anhänger über den Mann, der dafür geholt wurde, die seit Jahren vakante Stelle eines Stars beim HSV zu besetzen, wurden wiederum die mangelnde Torausbeute und die enormen Kosten seiner Verpflichtung genannt. Elf Spiele hat Anthony Yeboah für seinen neuen Verein bestritten und dabei zwei Tore geschossen. Die Kosten seines zweijährigen Engagements werden mit 7,3 Millionen Mark beziffert (Ablösesumme plus Gehalt).

Dabei wurde der einstige Torjäger zumindest in der ersten Hälfte von seinen Mitspielern gesucht. Er ließ sich ins Mittelfeld zurückfallen, schirmte den Ball mit seinem bemerkenswert durchtrainierten Körper ab, um ihn mit einer im Volksparkstadion von einem Heimspieler selten gezeigten Ballfertigkeit an einen nachrückenden Spieler weiterzuleiten, damit dieser den öffnenden Paß spiele. Jener wird in der gängigen Terminologie recht gerne als tödlich bezeichnet und wurde zu Yeboahs Frankfurter Glanzzeiten von Uwe Bein vortrefflich gespielt.

Doch die Kombinationsgabe des HSV 1997 verhält sich zu Eintracht Frankfurt in den frühen 90ern wie ein Abakus zu einem Rechner mit 300 Mhz-Prozessor. Es ist einfach eine andere Disziplin. „Wir haben in der Offensive einfach zu wenig getan“, lautete die resignierte Spielanalyse des HSV-Trainers Frank Pagelsdorf. Trotz Yeboah, der laut eigenem und Pagelsdorfschem Bekunden beim HSV zu wenig Bälle bekommt und sich deshalb allein gelassen fühlt. Sein Kollege Hassan Salihamidzic, mit bisher sieben Saisontoren erfolgreichster HSV- Schütze, befindet sich seit Bekanntwerden seines Wechsels zu Bayern München in einer Formkrise. Der bei seinem vorvormaligen Arbeitgeber in Freiburg zuweilen geniale Rodolfo Cardoso – ein Spieler, der auch einmal als Star eingeplant war – will den Verein wegen mangelndem persönlichen Erfolg verlassen. Auch der polnische Nationalspieler Jacek Dembinski kann dem Spiel nicht die Impulse verpassen, damit zumindest das angestrebte Saisonziel, ein Platz im gesicherten Mittelmaß, erreicht werden kann. Oder ein Spieler wie Yeboah mit den nötigen Vorlagen gefüttert wird. Es bleiben brave Balltreter wie Stefan Schnoor, Thomas Gravesen oder Andreas Fischer, die sich allerdings bemüßigt fühlten, in der Abwehr den Kombinationsfußball zu versuchen, der im Angriff nicht stattfand. Und so den Wolfsburgern immer wieder den Ball übergaben.

Der HSV ist also wieder einmal in einer Krise. Die HSV-Führung gibt sich wieder einmal optimistisch. „Ich bin sicher, daß wir mit dem Abstiegskampf am Ende der Saison nichts mehr zu tun haben“, frohlockte der Geschäftsführer Werner Hackmann trotz der Tatsache, daß der HSV gerade einmal einen Punkt mehr auf seinem Konto hat als der Bundesligaletzte. Trotz vier Heimniederlagen in Folge und sechs sieglosen Spielen hintereinander.

Tabellarische Mittelmäßigkeit wurde am Sonnabend von den Wolfsburgern definiert. Die Abwehr, in der solide Handwerker wie der vom Hamburger Sportverein gewechselte Marijan Kovacevic, Pavel Novotny und Jens Keller wirkten, ließ sich nicht von den einfach gestrickten Anfgriffsbemühungen des HSV aus der Ruhe bringen. Claudio Reyna funktionierte als Relaisstation zwischen Abwehr und Angriff einwandfrei, und im Sturm nervte Roy Präger die wenig ballfertigen Hamburger Abwehrspieler wie Fischer durch forsches Stören.

Bei Wolfsburg spielten übrigens mit Spies, Dammeier und Kovacevic drei Spieler mit, die beim HSV einmal gescheitert waren. Zumindest eine Hoffnung für die Yeboahs und Cardosos.

VfL Wolfsburg: Zimmermann – Keller – Kovacevic, Kryger – Greiner, Spies (83. Heidenreich), Reyna, Dammeier, Deering (64. Kleeschätzky), Novotny – Präger (90. Jensen)

Zuschauer: 19.000

Tore: 0:1 Reyna (37.), 0:2 Präger (71.), 1:2 Schnoor (88.)

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