„Nur eine kleine Show“

■ Bremens Türken sehen das Pokerspiel zwischen der Europäischen Union und der Türkei gelassen: „Für uns Migranten ändert sich dadurch nichts“

„Erst mal den türkischen Hintern zeigen! Warum nicht?!“: Die politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Europa sind auf Eis gelegt – und die türkische Bevölkerung in Bremen macht sich drüber lustig. Von niedergedrückter Stimmung ist im Ostertor-Viertel nichts zu spüren.

„Tabiye“, lächelt verbindlich Abdullah Degirmenci in der Teestube am Fehrsfeld und: „Er findet das okay“, übersetzt sein vierzig Jahre jüngerer Freund. Viel mehr sagt Herr Degirmenci zu dem Thema nicht, winkt ab: Alles halb so wild. Dann übernimmt der Freund, Kaplan, wieder die Wortführerschaft: Mesut Yilmaz, der türkische Ministerpräsident, solle ruhig bißchen mauern. „Wir hatten sowieso nie Vorteile von Europa. Nicht von den guten Beziehungen und von den schlechten auch nicht. Was soll's.“

Fußball, die Geschäfte, die Probleme mit der Tochter – in den Lokalen und Treffpunkten der türkischen Männer steht der Konflikt um die EU-Mitgliedschaft der Türkei nicht an oberster Stelle. In den Tageszeitungen schon. „Sabah“titelt „Europa, ya rest“(EU? – Abgelehnt!), und anerkennend klopft „Hürriyet“ihrem Ministerpräsidenten auf die Schulter: „Das war eine historische Antwort!“Naja, wenn das die Zeitungen schreiben. Im „Kültür Sport Club – International“(KSC), dem Fußballverein über dem „Kismet 1“, will man dem nicht direkt widersprechen. Schon gar nicht, wenn Bremens Hürriyet-Mitarbeiter gerade mit am Tisch sitzt. Doch baff ist selbst dieser, daß man sich in Bremen für das Thema interessiert – und schießt erstmal ein Foto.

Dann wird Herr Aydin vom Lebensmittelladen in der Herderstraße staatsmännisch: „Natürlich ist die Reaktion in Ankara überzogen. Aber man muß das doch verstehen. Da sitzt man seit 30 Jahren in der europäischen Warteschleife, und dann werden die ganzen GUS-Staaten einem vorgezogen“.

Auch wenn man seit über zwanzig Jahren in Deutschland wohnt, kann man da noch mitfühlen. Das tut weh. Und wenn es weh tut, dann haut man auf die Kacke. Sagt sein Kollege, M. Kaya: „Wir Südländer sind nun mal temperamentvoller.“Der 38jährige grinst unter seinem graublonden Schnurrbart über die eigenen Worte, springt auf und verblüfft seine Klubkollegen mit einer halben Drehung:: „Na ist doch wahr! Deswegen passen wir denen auch nicht.“Im KSC-International lacht man darüber; so sei das auch immer, wenn er mit seiner deutschen Frau streite, sagt Aydin. Böse sei das nicht gemeint. Übrigens auch nicht von Yilmaz. „Die pokern jetzt“. Auch um den Fanatikern im eigenen Land zu beweisen, daß man Härte zeigt.

Und irgenwie finden das die Migranten das hier auch gerecht – natürlich fühlt man selbst nach zwanzig Jahren Deutschland mit der Heimat. Die Europäer sollten sich erstmal an die eigene Nase fassen, wenn es um Folter geht. Diesen Satz, mal vorsichtig, mal scharf, hört man von den Teestuben bis zum Reisebüro überall: „Ich halte das für psychische Folter, was jetzt mit unseren Kindern passiert. Daß die hier geboren werden, ihre Jugend hier verbringen und dann um ein Visum betteln sollen.“Gütig lächelt Ata Türk da von der Wand.

Gule Iltmis vom Bremer „Dachverband der Ausländer-Kulturvereine“nimmt den Politstreit nicht ernst: „Das ist doch alles nur eine große Show. Nicht mal. Eine kleine Show. Für uns Emigranten ändert sich dadurch nichts.“ ritz