Der Groove der Götterspeise

■ Der radikale Indie-Rocker Calvin Johnson kommt mit dem Dub Narcotic Sound System in die Rote Flora

Calvin Johnson hat in seinem Leben nichts unversucht gelassen, um nicht berühmt zu werden. Wenn seine Bands zu groß werden, löst er sie auf, und die Mainstream-Medien meidet er. Das ist Strategie. Genutzt hat sie ihm wenig, irgendwie fällt sein Name immer wieder in einschlägigen, aber einflußreichen Kreisen. Nirvanas Kurt Cobain zum Beispiel trug das Logo von Calvins eigener kleiner Plattenfirma K Records auf den Arm tätowiert – und via MTV in die Jugendzimmer dieser Welt. Und Beck brachte ein Album auf K Records raus, kurz nachdem er beim Multi Geffen unterschrieben hatte. Das ist die Ironie der Geschichte von Calvin Johnson, der Starruhm für den Fluch der Rockmusik hält. In diesem Zusammenhang darf ruhig noch einmal die schöne Anekdote aus dem Jahr 1978 erzählt werden, wo der kleine Punk Calvin seiner Heldin Patti Smith angeboten hat, statt sich von ihr ein Autogramm geben zu lassen, seine Unterschrift auf ihre Jacke zu kritzeln.

Inzwischen ist Calvin Johnson Mitte 30. Und immer noch Punk. Auch wenn seine Musik kaum so klingt. Schon mit seiner Formation Beat Happening bewies er auf einer Handvoll Alben, wie man mit den Mitteln des Punk wunderbaren Pop spielt. Mit seinen Kollegen wechselte er ständig die Instrumente – schon um zu verhindern, daß sich sowas wie Muckertum breitmachen konnte. Nicht verhindert werden konnte hingegen, daß sich Calvins Bariton durchsetzte, der klingt, als hätte Lee Hazelwood einen Brummkreisel verschluckt. Überhaupt war Calvin zwangsläufig das Zentrum des Trios. Auch deshalb, weil er auf der Bühne in einem Moment rumspaddelte wie Iggy Pop, um im nächsten als AgitProp-Performer aufzutreten. Schön bescheuert, enorm effektiv.

Natürlich prägt Calvin Johnson auch den Sound des Dub Narcotic Sound System, wo er neuerdings singt, wenn er nicht sein Label betreut oder bei seinem anderen Projekt, den Halo Benders, arbeitet. Dub ist für ihn kein Stil, sondern eine Technik, und wie Punk ist das eine Technik der Dekonstruktion. Durch Zerlegung, Wiederholung und Hall entstehen Tracks, die mit dem herkömmlichen Song wenig zu tun haben. So verwundert es nicht, daß Jon Spencer sich von Dub Narcotic remixen läßt, schließlich unterzieht er – gleichsam auf der anderen Seite des Indie-Rock – den Blues einer ähnlich radikalen Wurzelbehandlung. Bone Dry heißt die letzte Single vom Dub Narcotic Sound System, und wie sich hier Calvins blümeranter Bariton mit dem butterweichem Bass verbindet, gehört zu den verquersten Momenten moderner Rockmusik. This is the sound of Wackelpudding. Nenn' es Funk, aber wunder' dich nicht, wenn du dir die Beine verknotest. Mit Dub hat das nur mittelbar zu tun, und in der Roten Flora, wo sonst klassische Soundsysteme zuhause sind, wird es wohl ein paar verdutzte Gesichter geben. Aber verdutzte Gesichter sind sowieso die größte Freude, die man einem wie Calvin Johnson machen kann.

Christian Buß

So, 21. Dezember, 21 Uhr,

Rote Flora