: Das eigene Ziel verfehlt
■ Online-Geschäfte statt virtueller Gemeinschaft der Netzbürger: Die "Internationale Stadt Berlin" hat beschlossen, sich selbst aufzulösen
Wie sagt man bloß? Die Internationale Stadt wird geschlossen? Geht offline? Zieht den Stecker aus der Dose?
Vielleicht so: Das Berliner Internet-Projekt Internationale Stadt (I.S.) hat am vergangenen Freitag seine Selbstauflösung beschlossen. In den nächsten drei Monaten wird die elfköpfige Mannschaft, die seit 1994 daran gearbeitet hat, den Mietvertrag für die schmucklosen Vereinsräume in Berlin-Kreuzberg kündigen, Endabrechnung machen, die Computer abbauen und schließlich aus dem Büro ausziehen.
Dann ist das ambitionierte Projekt „besenrein beendet“, wie ein Mitglied des Netzkollektivs sagt. Irgendwann im Frühjahr wird man unter der Internet-Adresse der I.S. (berlin.icf.de) nur noch eine Fehlermeldung finden: Host unknown.
Vier der ehemaligen Mitarbeiter der Internationalen Stadt Berlin wollen eine eigene Internet- Agentur gründen, andere an ihrer Karriere als Künstler weiterstricken: Karl-Heinz Jeron und Joachim Blank, die bei der diesjährigen documenta vertreten waren, haben ein neues Atelier in der Nähe des Hackeschen Markts in Berlin bezogen und ihren eigenen Server eingerichtet (sero.org).
Was aus den Ablegern des Netzprojekts in Bremen und Köln werden wird, ist noch nicht bekannt. Mit der Abwicklung der Internationalen Stadt scheint die Ära der „digitalen Städte“ ihrem Ende entgegenzugehen. 1994 und 1995 entstanden im World Wide Web eine ganze Reihe von Projekten, die nach dem Vorbild einer Stadt organisiert waren. Das berühmteste Beispiel ist die „Digitale Staad“, Amsterdam, der es tatsächlich eine gewisse Zeit gelang, auf ihren Seiten im Internet eine Art soziales Leben zu stimulieren. In New York versuchte die ehemalige Mailbox „The Thing“ (www.thing .net) den Einstieg ins Internet, in Wien wurde die Web-Initiative „Public Netbase“ (www.t0.0r.at) gegründet.
Alle diese Projekte gingen mit der gleichen Rhetorik der „Virtuellen Gemeinschaft“ und „Access For All“ ins Netz, die aus heutiger Sicht etwas wolkig erscheint. Auch bei der Internationalen Stadt Berlin hatte man große Pläne und hohe Ansprüche: „Der Mensch steht als aktiv Beteiligter und nicht als Verbraucher im Zentrum“, hieß es Anfang 1995 in einer Art Gründungsmanifest. „Neue zwischenmenschliche Beziehungen werden durch die Internationale Stadt initiiert und wirken auf den Alltag der realen Stadt... Im Unterschied zu anderen Medien werden neue Informationen durch sozialen Austausch entstehen.“
Die Initiatoren kamen zum Teil aus der Hacker-, zum Teil aus der Kunstszene. Ihr Anspruch war es, der Kultur einen kostengünstigen Ort anzubieten, eine Art Independent-Internet-Provider als Alternative zu den kommerziellen Anbietern. Doch die Internationale Stadt wollte nicht nur künstlerisches Arbeiten im Netz ermöglichen, sie war selbst auch ein Produkt des künstlerischen Zeitgeists der frühen neunziger Jahre. In fast allen deutschen Großstädten bildeten sich „selbstorganisierte Zusammenhänge“ von Künstlern, die sich in selbstverwalteten Galerien oder Treffpunkten wie dem „Friseur“ in Berlin oder dem „Friesenwall“ in Köln trafen. Diese Orte sollten als eine Fortführung der „Institutional Critique“ eine Alternative zu den Galerien des traditionellen Kunstbetriebs sein. Das „Kontext-System“ (Joachim Blank) der Internationalen Stadt war eine direkte Fortsetzung dieses Konzepts in den Cyberspace: „Um nicht auf Fremdmittel zurückgreifen zu müssen, entscheiden sich deshalb Künstler dafür, mit eigenen Produktionsmitteln zu arbeiten“, schrieb Blank.
Um die eigenen hehren Ziele zu erreichen, bot man Fördermitgliedern des Vereins Internationale Stadt e.V. für 29 Mark pro Monat Internetzugang mit E-Mail-Adresse und Speicherplatz für eigene Webseiten – nicht zu unterschätzen zu einer Zeit, als noch nicht bei jedem Online-Dienst Internetzugang zu haben war. Wer sich als „Bürger“ anmeldete, konnte seine persönliche Heimstadt im Internet einrichten. Dafür wurden anspruchsvolle „Web-Tools“ programmiert, die es auch Laien möglich machen sollten, eine Homepage zu gestalten.
Vor allem für Kunst und politische Initiativen war bei der Internationalen Stadt Platz. Das Geld kam zu einem kleinen Teil aus den Mitgliedsgebühren, aber vor allem aus der – oft an Selbstausbeutung grenzenden – Arbeit an Internet- Auftritten für Kunden wie Telekom, Daimler-Benz oder Hewlett- Packard. Finanzielle Unterstützung durch das Land Berlin gab es nie, wohl aber Aufträge vom Senat und vom Statistischen Landesamt. Auf dieser finanziellen Basis sollte ein „digitaler Treffpunkt“ entstehen. Gedacht war an die „gezielte Einbindung von Initiativen aus dem lokalen Umfeld der NutzerInnen, soziale Vernetzung (und) Bildung von geschlossenen und offenen Gruppen, die sich ihre Arbeitsumgebung selbst einrichten können“.
Leute ohne Computer oder Netzanschluß sollten sich an „öffentlichen Terminals an verschiedenen Orten der Stadt“ einwählen können. Soweit ist es nie gekommen. Von den öffentlichen Terminals blieb das „Club Netz“, ein Chat-System, das verschiedene Berliner Diskotheken miteinander verband. Die „Einbindung von Initiativen aus dem lokalen Umfeld der NutzerInnen“ beschränkte sich im wesentlichen auf die Einrichtung von Homepages für Gruppen wie Greenpeace Berlin, die feministischen Zeitschrift Blau oder eines „Fördervereins für instabile Medien“. Und zur „Bildung von geschlossenen und offenen Gruppen“ steht zwar eine hervorragende, selbstgeschriebene Software zur Verfügung, die aber kaum genutzt wurde. Das Ziel eines „sich selbst organisierenden Systems“ ist nicht erreicht worden: „Die I.S. hat nur so lange funktioniert, wie wir unsere Energie hineingesteckt haben“, resümiert ihr Geschäftsführer Max Bareis heute. „Als wir die Leute nicht mehr dazu aufgefordert haben, etwas zu machen, ist auch nichts mehr passiert.“
Trotzdem war die Internationale Stadt vor zwei Jahren das Vorzeigeprojekt der deutschen Netzszene, und ihre Gründer zogen von Konferenz zu Symposium, um ihr Konzept vorzustellen. Bei der Veranstaltung „Telepolis“, die im November 1995 in Luxemburg stattfand, stellte sich neben anderen digitalen Städten auch Berlin vor. Vertreter von Großunternehmen und Industrie saßen im Publikum und schrieben mit. Während in Kreuzberg nun die Büros ausgeräumt wurden, arbeitet die Vebacom an einer „Infocity NRW“, und im World Wide Web sind sogenannte Shopping Malls wie ein Marktplatz nach dem Vorbild virtueller Gemeinschaften aufgebaut.
Von dieser kommerziellen Auswertung ihrer Ideen haben die Netzpioniere nie profitiert. Sie wollten es wohl auch gar nicht. Bis heute ist man bei der Internationalen Stadt stolz darauf, nie Schulden gemacht zu haben, sondern von Anfang an kostendeckend gearbeitet zu haben. Zuletzt scheint der Gegensatz zwischen gewinnorientiertem Wirtschaften und künstlerischem Idealismus aber nicht mehr zu überbrücken gewesen zu sein. Auch wenn Max Bareis betont, daß man sich nicht im Streit trennt, waren die Gemeinsamkeiten zwischen den Initiatoren offenbar erschöpft. Und vielleicht ist auch einfach die Zeit für „digitale Städte“ vorbei: Zwar hatte man sich schon im vergangenen Jahr von der „Stadtmetapher“ verabschiedet und den Server organisiert. Aber die eigentliche Aufgabe – kostengünstiger Online-Anschluß und Serverplatz für eigene Experimente – können inzwischen kommerzielle Provider billiger und effizienter erfüllen.
Doch in den drei Jahren ihrer Existenz war die Internationale Stadt ein Zentrum für künstlerische Aktivitäten im Internet: Die Mehrheit der frühen Kunstwerke im Internet, die im deutschsprachigen Raum entstanden sind, liegen auf dem Server der Internationalen Stadt: „Computer Aided Curating“ und „Netzbikini“ von Eva Grubinger, „Auftragsdiebstahl“ von Christine Meierhofer, das im September einen Preis bei dem Netzkunst-Wettbewerb „Extension“ der Hamburger Kunsthalle gewonnen hat, oder „Siberian Deal“ von Kathy Rae Huffmann und Eva Wohlgemuth. Norman Ohlers schrieb auf dem I.S.-Server seinen Roman „Die Quotenmaschine“ in Zusammenarbeit mit seinen Lesern, und auch die Mitteilungen der Netzkunst-Mailingliste „Nettime“ gingen lange über die Computer in Berlin.
Auf die Frage, was denn nun mit diesem reichen Material geschehen soll, antwortet Kollektiv- Mitglied Armin Haase mit einem UNIX-Befehl: „rm –rf“, ein Kommando, das die ganze Festplatte unwiderruflich löscht. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, bleibt abzuwarten: Eventuell wird alles, was auf dem Server liegt, auf eine Archiv-CD-ROM gebrannt. Wer noch Material bei der Internationalen Stadt hat, sollte es sich aber auf jeden Fall umgehend herunterladen. Für Nichtmitglieder gibt es in den nächsten Monaten zum letztenmal die Gelegenheit, sich das alles noch einmal anzusehen, bevor es aus dem Netz verschwindet – zum größten Teil wohl für immer. Tilman Baumgärtel
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