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Globalisierung total

„Hier kommt niemand mehr rein“ war einer der meistgehörten Sätze des 19. Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films in der kubanischen Hauptstadt Havanna  ■ Von Geri Krebs

Am letzten Freitag endete nach zehn Tagen Dauer die 19. Ausgabe des Festivals des Neuen Lateinamerikanischen Films in der kubanischen Hauptstadt. Die starke Präsenz argentinischer Filme, das diesmal noch umfangreichere Angebot von Filmen aus aller Welt sowie das Wiedererwachen des kubanischen Spielfilms charakterisieren 1997 dieses wichtigste Filmfestival Lateinamerikas.

„Aqui no pasa más nadie“ – „Hier kommt niemand mehr rein“ war dieses Jahr einer der meistgehörten Sätze, selbst für den privilegierten ausländischen Festivalbesucher mit Akkreditierung. Kubanische Freunde behaupteten gar, Szenen, wie sie sich in den letzten Tagen vor Havannas größten Kinos „Payret“ (1.800 Plätze) und „Yara“ (1.500 Plätze) abspielten, seien auch für sie neu gewesen: Lastwagenweise herangekarrte uniformierte Polizisten, die nervös und unsanft versuchten, die Leute in den mehrere hundert Meter langen Warteschlangen in Schach zu halten. Dem Schreibenden wurde denn auch beim Fotografierversuch von einem Zivilbeamten die Kamera aus der Hand gerissen und der Film zerstört.

Die Publikumsbeteiligung beim kubanischen Filmfestival ist bereits legendär und auf der ganzen Welt wahrscheinlich einzigartig. Neben echter Kinobegeisterung mag dabei aber auch mitspielen „daß es sonst ja nichts gibt“, wie Kubaner es in ihrem Hang zur Übertreibung immer wieder formulierten. In der Tat ist das Angebot in den Kinos für den Rest des Jahres spärlich und das Angebot auf den zwei einzigen TV-Kanälen jämmerlich.

Traditionellerweise waren es auch dieses Jahr neue mexikanische und spanische Komödien, die vom einheimischen Publikum geradezu gestürmt wurden. Darüberhinaus stießen zwei prämierte argentinische Wettbewerbsfilme auf ungewöhnlich großes Interesse: „Martin (Hache)“, ein hervorragend gespieltes Beziehungsdrama von Adolfo Aristarain („Un lugar en el mundo“, „La ley de la frontera“ u.a.), der auch den Hauptpreis der internationalen Jury gewann, sowie „Cenizas del Paraiso“, ein raffiniert erzählter Thriller von Marcelo Pineyro („Tango feroz“, „La historia oficial“), der für Drehbuch und Musik ausgezeichnet wurde.

Argentinien war diesmal auch quantitativ mit zwölf Spielfilmen von 50 Filmen im Wettbewerb am stärksten vertreten. Das Nachbarland Brasilien, dessen Filmproduktion sich von dem Kahlschlag von Anfang der neunziger Jahre erholt hat, präsentiert sich fast ebenso stark wie Argentinien. Unter den brasilianischen Wettbewerbsfilmen stach besonders das Kammerspiel „Un cielo de estrellas“ der jungen Regisseurin Tata Amaral hervor.

Am meisten Enthusiasmus lösten beim hiesigen Publikum aber schließlich zwei der drei neuen kubanischen Spielfilme aus. Zwei Jahre hatte man warten müssen, um überhaupt wieder etwas Neues aus der Spielfilmproduktion des kubanischen Filminstituts ICAIC sehen zu können – letztes Jahr hatte es als traurige Premiere keinen einzigen kubanischen Beitrag im Wettbewerb gegeben. Deshalb waren die Erwartungen dieses Mal besonders hoch, zudem haben die Leute hier Erfahrungen mit kubanischen Filmen, die zwar auf dem Festival gezeigt werden, dann aber für immer in der Versenkung verschwinden. „Amor vertical“ von Arturo Sotto war einer der beiden Filme, den das Publikum mit wahren Begeisterungsstürmen quittierte. Der knapp 30jährige Sotto ist seit zwei Jahren der Shooting- Star des ICAIC. Hatte er 1995 zur Eröffnung des Festivals noch mit seinem hypermetaphorischen Erstlingswerk „Pón tu pensamiento en mi“ verwirrt, so überraschte er nun mit einer gradlinigen Komödie, die er – mit einer Spur von Größenwahn – Buñuel, Fellini und dem kubanischen Altmeister „Titon“ Gutiérrez Alea widmete.

„Amor vertical“ handelt von einem jungen Paar im Havanna der Gegenwart, auf der Suche nach einem Platz, um ungestört Liebe zu machen. In Europa dürfte es der Film schwer haben, entfacht Sotto doch während 100 Minuten ein wahres Feuerwerk von Anspielungen auf kubanische Absurditäten, die sich nur dem eröffnen, der mit hiesigen Zuständen vertraut ist. Der Film, der, wie auch die beiden anderen kubanischen Beiträge, mit ausländischer, französischer Beteiligung koproduziert wurde, betreibt ziemlichen Aufwand – ein Kollege murmelte beim Hinausgehen etwas von Hollywood à la Cubana.

Nicht in Hollywood, aber in Miami wurde schließlich der absolute Publikumsliebling dieses Festivals produziert: „Zafiros, locura azul“. Der Regisseur Manuel Herrera legt mit „Zafiros...“ ein schön gefilmtes, nostalgisches Musikepos, fast ein Musical vor. „Los Zafiros“ waren ein Vokalquartett, das im Kuba der sechziger Jahre als kubanische Ausgabe der „Platters“ Furore machte, sich dann aber wegen interner Streitigkeiten Mitte der siebziger Jahre auflöste. Es ist der Sohn des einzigen noch lebenden Mitbegründers der „Zafiros“, der in Miami lebt, der den Film als kubanisch-amerikanisches Projekt produziert hat – vor kurzem wäre das noch undenkbar gewesen.

Am meisten gespannt war man aber auf den Beitrag von Daniel Diaz-Torres' „Kleines Tropikana“, eine kubanisch-deutsche Koproduktion mit Vladimir Cruz („Fresa y chocolate“) und Peter Lohmeyer in den Hauptrollen. Der zweistündige Film, vordergründig eine Art Krimi rund um den mysteriösen Tod eines Deutschen in Havanna, beeindruckt zwar durch ungeheuren Einfallsreichtum und eine schwindelerregende Metaphernfülle, ist aber andererseits von einer Inkohärenz, über die man nur den Kopf schütteln kann.

Bei der Kritik kam der Film gut an, die Jury zeichnete ihn mit dem Spezialpreis aus, beim Publikum hingegen fiel er durch. Sicherlich ist es ein Film, der noch viel zu reden geben wird, gerüchteweise war bereits zu vernehmen, er werde wahrscheinlich zusammen mit „Zafiros“ auf der Berlinale gezeigt werden – vorausgesetzt die Wogen um das Einreiseverbot gegen Peter B. Schumann haben sich bis dann wieder geglättet.

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