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Kreuzstichgewordene Nachgeburten

■ Adventliche Mißbildungen: Eva Schneiders „Variationen der Niederkunft“in der Altonaer Trinitatiskirche

Advent in der Altonaer Trinitatiskirche: In der Mitte des Altars thront ein Embryo aus Salzteig auf dem Taufbecken. Noch nicht geboren ist das etwas plumpe Jesuskind schon mit der Welt verkabelt: Wie Fühler ragen zwei Metalldrähte zum Himmel. Den Kopfhörer achtlos beiseite gehängt lächelt der Kleine beseelt und trotzt der kläglichen Embryonaldoubles, die ihm zu Füßen liegen.

Die Hamburger Künstlerin Eva Schneider läßt den sonst so bierernsten Umgang mit der Geburt des „Menschenfürsten“missen. Sie sammelt Bilder und Abbilder des Menschen von der Zelle bis zum komplexen Organismus, um sie gegenüberzustellen, zu verfremden oder zu vervielfältigen.

„Seitdem es die Menschheit gibt, entstanden eine Vielzahl von Mythen zu ihrer Entstehung - von der Philosophie, der Kirche, der Wissenschaft“erklärt die 34jährige. „Die Suche nach dem Ursprung wird von allen dreien ästhetisiert und so werden unsere Wertvorstellungen geprägt.“

Seit drei Jahren beschäftigt Eva Schneider sich mit dem Kult des Pränatalen und schafft ironische Abwandlungen von wissenschaftlichem Material, das den Entstehungsprozeß des Menschen zu ergründen sucht.

Ultraschall-, Röntgenbilder und mikroskopische Aufnahmen von Föten dienen ihr als Vorlagen für Teppiche, Tischdecken und Vorhänge. Das technisch erzeugte Abbild wird in Serie zum beliebigen Emblem: Die rosa eingefärbten Fotografien werden schließlich in Stickereien weiterverarbeitet. Schneider begeht das Sakrileg, ästhetische Norm zu brechen, Form und Deformation als gleichwertig zu behandeln. Selbst organische Verklumpungen und andere ungesunde Mißbildungen leuchten hier wie überprächtige Mariendarstellungen. So entstehen festliche Tischdecken, auf denen adventliches Zubehör, vom formschönen Engelskerzenhalter bis zum unverzichtbaren Spekulatiusteller, noch einmal ganz anders zur Geltung kommt.

Eva Schneider hat den Effekt ihrer Arbeiten kühl kalkuliert. Sie spielt mit den Sehgewohnheiten der Betrachtenden. Je nach Ausgangsmaterial wirken ihre Werke visionär, technoid oder auch naiv-abbildhaft.

Tabubrüche wie ihr Salzteig-Jesus auf dem Kirchenaltar provozieren schon mal die Gemeinde-Hirten. Und bei ihrem Triptychon von Übungsgebärmutter und Kupferstichen Siamesischer Zwillinge bekam der Kirchenvorstand, der die Eineiigen glatt der Kopulation verdächtigte, gar heiße Öhrchen und und verhängte seine Donnerwolken über die Künstlerin.

Die zwei anständig-abstrakt wirkenden Wandteppiche an den Seitenflügeln will die Kirche jedoch behalten. Es sind Piktogramme von Ultraschallbildern des weiblichen und männlichen Geschlechts, die Schneider bis zur Unkenntlichkeit vergrößert hat – ein schemenhaftes Suchen nach dem Ursprung.

Ilonka Boltze

Eva Schneiders „Variationen der Niederkunft“sind noch bis Sonntag nachmittag in der Altonaer Trinitatiskirche (Königstraße/Ecke Kirchenstraße) zu sehen. Öffnungszeiten Sonnabend von 14 bis 18 Uhr und Sonntag von 11 bis 16 Uhr.

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