: Hornhauthobellyrik
■ Cora Frost Gast im Jungen Theater
Zeit zur Besinnung: ranschleichen, innehalten, hinsetzen. Vom Plakat grüßte ein Marlene-Dietrich Blick zwischen Zottelhaaren. Und aus der Kulisse krakeelte es: „Hey, wo ist mein Mikro?“, bevor sie selbst erschien.
Cora Frost hat ihre Chansons wieder mitgebracht. Und mußte nicht von vornherein lächeln, auf das Bremer Publikum ist Verlaß. Das „Fugu“-Programm gab's schließlich schon einmal im Frühjahr. Aber es geht ja auch gar nicht um Kugelfische oder die Schädlichkeit von Liebesliedern, es geht um diese Frau. Die steht im Hausfrauen-Kittelkleid auf der Bühne und erstrahlt in lyrischen Betrachtungen. „Meistens singt man in Abwesenheit von Liebe über die Liebe... Kein erfreulicher Zustand.“Ist das ein Grund?
Schade jedenfalls, daß die Band nicht komplett war. Jan Fritsch hatte es ganz banal beim Rasieren erwischt: Der Saxophonist wurde Badezimmeropfer, ausgerutscht und angeschlagen. Nun mußte das ganze Set neu arrangiert werden. Doch die Rest-Musik ließ nichts zu wünschen über. Gert Thumser blieb der alleinige Herrscher über Gesichtsmuskeln und Tastenwerk. Und Hans Jehle gab im Lausbuben-Outfit wahlweise den Schlagzeuger oder Teufelsgeiger zum Besten. Diese Violine sollte schwindelig machen, zumindest bei „Oxygene“, dem flottesten Satz des ersten Aktes.
Vor der Pause konnte Frau Frost ihr Volk nur eben bei der Stange halten. Man nahm das stoisch hin, lösendes Gegacker kam später auf. Ein bißchen müde, ein bißchen abgespielt wirkte die bekannte Diva vor allem bei den traurigen, langsamen, schlecht beleuchteten Stücken.
Ihre Geschichten sind immer noch Wechselbäder zwischen Pathos und Koketterie. In ihren besten Momenten erzählte Cora Frost so verhuscht wie klasse vom alltäglichen Wahn. Darin liegt ihre Humorigkeit, und die macht das Gebotene lebendig. Beim Zwiegespräch mit dem Pianisten etwa fanden sich brillant-zerstreute Überleitungen: Mit welcher Erektion und welchen Problemen das Tragen von Damenstrumpfhosen verbunden sei..., daß Hornhauthobeln die Langlebigkeit der Strumpfhose gewährleiste..., wieviel Theaterkarten man dadurch spare!
Und dann kehrte sie ihrem Publikum wieder den Rücken zu, um aus dem Lachen ein neues Gesicht zu erschaffen. Meisterin der Verwandlung, sang sie melancholisch und spröde – oder einfach schön. Denn die Lieder sind das, was bleibt, wenn die Liebe weg ist.
Helene Hecke
Noch bis Sonntag im Jungen Theater (jeweils 20.30 Uhr)
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