piwik no script img

Auf allen vieren ins Besuchszimmer

■ Rund 20.000 Menschen sitzen in Ägypten ohne Anklage im Gefängnis. Nach Anschlägen wie dem Attentat von Luxor verschärft die Regierung die katastrophalen Haftbedingungen noch

Kairo (taz) – Kurz nach dem Mittagsgebet schlägt in Ägyptens zentraler Gefängnisverwaltung in Kairo die Stunde der Mütter und Ehefrauen. In einem kleinen Raum im neunten Stock knistert der Stoff der langen, islamisch korrekten Gewänder und der Niqab, der mehr als hüftlange Schleier, die nur die Augen der Frauen im Unverborgenen lassen. Die meisten kommen aus ultra-konservativen muslimischen Familien. Ein Beamter liest die Namen derjenigen vor, die heute eine für eine Woche gültige Besuchserlaubnis für eines der Gefängnisse erhalten.

„Vor eineinhalb Jahren haben sie meinen Ehemann um zwei Uhr morgens abgeholt. Sie sagten, er käme am nächsten Morgen wieder. Seitdem sitzt er im Gefängnis in Vorbeugehaft ohne Anklage und ohne Prozeß“, erzählt eine der Frauen. Aus Angst um ihren Mann zieht sie es vor, anonym zu bleiben.

Sie habe bereits unzählige Beschwerden eingereicht, neunmal hätten Gerichte die Freilassung ihres Mannes beantragt. Doch das Innenministerium hat seine eigenen Methoden, mit den Anträgen umzugehen: Der Mann wurde zwar freigelassen, jedoch sofort auf die nächste Polizeistation gebracht, um dort erneut in Vorbeugehaft genommen und in ein anderes Gefängnis geschickt zu werden.

Durchaus kein Einzelfall bestätigt der Anwalt Muhammad Sari, der seit kurzem in Kairo ein „Menschenrechtszentrum zur Hilfe Gefangener“ (HRCAP) gegründet hatte. Um die 20.000 Ägypter schätzt er, sitzen in dieser endlosen Vorbeugehaft – meist werden sie verdächtigt, mit einer der militanten islamistischen Gruppen des Landes, wie der Gamaa al-Islamia (Islamische Gruppen), die sich zu den jüngsten Massaker an Touristen in Luxor bekannt hatte, gemeinsame Sache zu machen. Der seit 16 Jahren ununterbrochen geltende Ausnahmezustand im Land macht es möglich, daß der Staat seinen Verdacht nie gerichtlich nachweisen muß.

Ein neues Gefängnis, mitten in der Wüste

In den vergangenen fünf Jahren, seit die militanten Gruppen mit der Regierung einen Kleinkrieg führen, ist die Zahl der ohne Anklage Festgehaltenen sprunghaft angestiegen. Alte Gefängnisse wurden erweitert, vier neue Anstalten gebaut. Darunter auch das berüchtigte Wadi-al-Gedid-Gefängnis, das vor knapp zwei Jahren 630 Kilometer von Kairo entfernt errichtet wurde, mitten in der Wüste. In jeder der 216 Zellen, die nur 24 Quadratmeter groß sind, drängen sich nach einem HRCAP-Bericht 20 bis 25 Gefangene. Die Insassen aus neun Zellen teilen sich ein Bad, dessen Benutzung jedoch meist nicht erlaubt wird.

Einer der Gefangenen berichtete seinem Anwalt, er habe seit einem Jahr nicht mehr die Sonne gesehen. Früher seien die Gefangenen wenigstens alle zwei Monate für 10 Minuten an die frische Luft gelassen worden. Dabei wurden sie meist geschlagen und beschimpft. Viele der Gefangen hätten Hautkrankheiten, Krätze, Nierenentzündungen, oder Tuberkulose. Das Wasser ist eigentlich nicht trinkbar. Die Besuche im Gefängnis sind ebenso von Schikanen begleitet. Als ein Anwalt vor zwei Jahren einen der Gamaa-Führer, Hassan Gharbawy, in Wadi al-Gedid besuchte, wurde Gharbawy gezwungen auf allen vieren zu kriechen, während er geschlagen wurde. Er bat den Anwalt, ihn fortan nicht mehr zu besuchen.

Auch die Frauen in der zentralen Gefängnisverwaltung in Kairo wissen von zahlreichen Schikanen bei ihren Visiten zu berichten. Meist werden zwei Dutzend von ihnen während des Besuches in einen Raum gesperrt. Auf der anderen Seite des Gitters werden ebenso viele Gefangene hereingeführt. Dann klatscht ein Offizier in die Hände, alle reden durcheinander, die Frauen versuchen einen kurzen Blick ihrer Männer oder Söhne zu erhaschen. Nach drei Minuten klatscht der Offizier erneut in die Hände. Die Besuchszeit ist beendet. In einem der Gefängnisse in der Nildelta-Stadt Damanhur wurden die Gefangen mit verbundenen Augen hereingeführt. „Ich kann gerade mal sicher gehen, daß er noch lebt“, sagt eine Frau.

Die Zustände in den Gefängnissen sind inzwischen zu einem zentralen Thema der draußen operierenden militanten Gruppen geworden. Die Gamaa al-Islamia und die Gihad-Gruppe rechtfertigen viele ihrer Anschläge mit der brutalen Situation der Häftlinge und fordert ihre Freilassung.

Doch nach Anschlägen militanter Islamisten verschärfen die Behörden regelmäßig die Haftbedingungen. Nach dem Touristenmassaker in Luxor wurde in Wadi Natrun, einem der Gefängnisse auf der Wüstenstraße zwischen Kairo und Alexandria, nur noch täglich zehn Besuchsgenehmigungen erteilt. Statistisch bedeutet das, daß jeder der schätzungsweise 1.500 Gefangenen alle fünf Monate Besuch bekommen kann. „Seit dem Anschlag in Luxor wurde es uns nicht mehr erlaubt, Essen und Medikamente ins Gefängis zu bringen“, erzählt eine der Frauen in der zentralen Gefängnisverwaltung. Manche Anstalten werden tageweise für Besucher geschlossen.

Nachbarn tauschen Gefängnisgeschichten

Für den Anwalt Muhammad Sari setzten solche Maßnahmen die falschen Signale. „Eigentlich müßten Gefangene so behandelt werden, daß sie sich später wieder in die Gesellschaft einfügen.“ Die jetzigen Bedingungen „machen nicht nur sie aggressiv, sondern möglicherweise auch ihre Verwandten bereiter, mit Gewalt gegen den Staat vorzugehen“.

Denn auch die Angehörigen leiden unter den Festnahmen. „Vor ein paar Jahren, als mein Mann verhaftet wurde, haben mich die Nachbarn wie eine Ausgestoßene behandelt“, erinnert sich eine Frau, die in Talbia, einem der Armenviertel Kairos und Hochburgen der Gamaa al-Islamia wohnt. Doch inzwischen haben auch viele Nachbarn die Erfahrung gemacht, daß ihre Söhne und Brüder auf unbestimmte Zeit in den Gefängnissen verschwinden. Und jetzt tauscht sie mit den Nachbarn die neuesten Horrorgeschichten von Gefängnisbesuchen aus. Karim El-Gawhary

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen