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Real existierender Kreisverkehr

■ Seit die Ampelanlagen am Großen Stern den Kreisverkehr regeln, kann von Verkehr keine Rede mehr sein. Goldelse blickt auf permanenten Stau

Es war ein wunderbarer Tag für Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU), als er am vergangenen Samstag unter dunklem Himmel die neuen Ampelanlagen am Großen Stern aufblitzen ließ. Das neue Verkehrsleitsystem samt Warndreieck und falscher Richtungsanzeige zum Potzdamer Platz strahlte auf. Der Senator lächelte, hatte er sich doch durchgesetzt gegen den Denkmalschutz und für das Leben. Denn die unfallträchtigste Stelle der Stadt rund um die Goldelse wird weniger Crashs und tote Kinder bringen. Dank den bunten Ampeln – und Klemann.

Daß es so kommen wird, daran besteht kein Zweifel. Denn von schneller Fahrt rund um das Rund kann keine Rede mehr sein. Im Gegenteil. Seit einer Woche herrscht tagsüber am Großen Stern nur Stop und kaum noch go, Bremslicht statt Gaspedal. Wie vorgestern eben. Da reiht man sich brav, aus Richtung Straße des 17. Juni kommend, ein in den Kreisverkehr, um sicher zum Brandenburger Tor zu fahren, und nichts geht mehr.

Einmal im Kreis, bricht das Klemann-System zusammen. Denn seine Verkehrsplaner haben die Rundfahrt in Spuren und Richtungen eingeteilt und zusätzlich alle paar Meter eine Ampel aufgestellt, die die Weiterfahrt regelt. Als Perpetuum mobile eine feine Sache. Aber keine unter den Bedingungen des real existierenden Berlinverkehrs. Erstens: Weil die Autos und Lkws die Spuren wechseln müssen, verwandelt sich die Fahrstraße zur Kreuzung. Von links will einer raus, rechts blinkt jemand, der ganz hinüber auf die Innenbahn muß, denn nur von dort führt spurenmäßig die Route in Richtung sowieso.

Zweitens: Ersteres wäre noch zu machen, würden nicht die Ampelschaltung und der sich dahinter aufbauende Stau sowie die von den Radialen hereindonnernden Wagen alles zum Erliegen bringen. So sitzt man im Wagen vor dem Rotlicht, das nach unendlich langer Zeit auf Grün springt, kann aber nicht starten, da die von der Hofjägerallee drängelnden Autos die Weiterfahrt zunichte machen. Für Fahrer mit Scheuklapppen natürlich kein Problem. Aber wer mal den Satz rechts vor links ernst nimmt und die Chose mit der Vorfahrt im Kreisverkehr vergißt, kann die Weiterfahrt beim berüchtigten Charme der Berliner Bleifüße getrost vergessen.

Natürlich hat das auch Vorteile: Dr. Kerstin Irene Appelshäuser etwa, Sprecherin im Hause des Verkehrssenators, findet die Stopstopstopgo-Geschichte „prima“. Endlich „taucht kein schnelles Auto mehr rechts hinter mir auf“, sagt sie und weist jede Schuld des Ampelphasencomputer von sich. Auch für nette Menschen ist das „Sicher im Kreis fahren“ ein Treffpunkt, wo mit Handbewegungen und Augenkontakt viel Kommunikation geschaffen wird. Ganz zu schweigen von den Autofahrern, die aus Stauwut aussteigen. Rolf Lautenschläger

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