: Im Land der Korruption
■ Morgen wird in Litauen ein neuer Präsident gewählt. Verstrickt sind alle Kandidaten
Warschau (taz) – Mit schiefsitzender Brille und väterlich-amüsiertem Lächeln präsentiert sich Vytautas Landsbergis seinen litauischen Landsleuten. Morgen finden Präsidentschaftswahlen statt, und auf die hat sich der Musikprofessor und Vorsitzende des litauischen Parlaments lange vorbereitet. Dennoch zeigen die bisherigen Umfrageergebnisse, daß die Symbolfigur des litauischen Freiheitskampfes, der in der Tradition der Unabhängigkeitsbewegung Sajudis steht, zwei ernstzunehmende Gegenkandidaten hat: den 44jährigen Rechtsanwalt Arturas Paulauskas, der sowohl von den Liberalen als auch von den Postkommunisten unterstützt wird, und den 72jährigen Unternehmensberater Valdas Adamkus, der erst vor kurzem aus den Vereinigten Staaten zurück nach Litauen kam und in erster Linie mit der konservativen „Litauischen Zentrumsunion“ zusammenarbeitet. Die anderen vier Kandidaten haben kaum Chancen, in die zweite Runde zu kommen.
Landsbergis, der im vergangenen Jahr ein großes Comeback feiern konnte, als die von ihm geführte konservative „Vaterlandsunion“ mit 30 Prozent die Parlamentswahlen gewann, baute auch in diesem Wahlkampf auf seine moralische Autorität. Doch die aggressive Kampagne zahlte sich nicht aus. Im Gegenteil: Die Kandidaten für das höchste Amt im Staate geben nun alle ein dubioses Bild ab. Paulauskas, der erste Generalstaatsanwalt des unabhängigen Litauen, wird der Korruption beschuldigt. Im letzten Jahr mußte er aufgrund dieser Vorwürfe sein Amt niederlegen. Er soll Verbindungen zur Unterwelt haben, wie die konservative Zeitung Lietuvos Aidas berichtete. Adamkus, der 1944 nach Amerika emigrierte, wurde zunächst die Kandidatur um das Präsidentschaftsamt verweigert. Er könne nicht nachweisen, so die Wahlkommission, daß sein ständiger Wohnsitz in den letzten drei Jahren in Litauen gewesen sei. Kaum hatte er dies durchgefochten, kam der nächste Vorwurf auf: Adamkus sei jahrelang ein CIA- Spion gewesen. Der 72jährige konterte, er habe für den CIA nur aus dem Russischen übersetzt.
Landsbergis wiederum wurde der Zusammenarbeit mit dem KGB beschuldigt. Der Ankläger, Audrius Butkeviczius, ein populärer Politiker, hatte vier ehemalige KGB-Offiziere aufgetrieben, die erklärten, Landsbergis sei in den 50er Jahren vom KGB geworben worden und habe für den russischen Geheimdienst gearbeitet. Der Abgeordnete ist allerdings in eine Schmiergeldaffäre verwickelt und sitzt nun in Haft.
Die in Vilnius erscheinende Zeitung Lietuvos Rytas warnt angesichts der vielen Affären vor einem Ansehensverlust Litauens in der Welt: „Unter den baltischen Staaten ist Litauen der am meisten korrumpierte. Wohl nirgends im demokratischen Europa gibt es so viele in Schmiergeldaffären verwickelte Minister. Mit diesem Ballast wird uns niemand gern in die Europäische Union aufnehmen.“
Besonders unter dem populären Staatspräsidenten Algirdas Brazauskas hatte sich die Korruption unter den Staatsdienern immer mehr ausgebreitet. Wenn es seinem Nachfolger nicht gelingt, dieser Plage Herr zu werden, könnte das größte der baltischen Länder tatsächlich hinter Estland und Lettland zurückfallen. Gabriele Lesser
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