Zum Frühstück bei Ödipussis

■ Wo keine Lämmer schweigen: Robert Eichhorn begeht sein Regiedebüt mit den „Fetten Männern im Rock“

Ödipussi hat einfach kein Benehmen. „Dummbatze“, „Kotzbrocken“oder „Hirnfurz“sagt er in abwechselnden Anreden zu seiner Mama, und eines schlimmen Tages zieht er gar das Hackebeil, um sie möglicherweise und vor allem einstweilen ins Jenseits zu befördern. Huhu! Es geht drastisch zu, denn Nicky Silver liefert die Vorlage. Allein, der bald 38jährige US-Jungdramatiker hat darin zugleich ein paar Stolperfallen eingebaut. Denn hinter jedem lauten „Dummbatze!“lauert doch ein leises „Mami?“, und es ist schon mal ein starkes Stück, daß die Fädenzieher des jetzt im Brauhauskeller vorgestellten Silver-Werkes „Fette Männer im Rock“darüber nicht stolpern, nicht fallen.

Ein Stück? Von wegen. Das Stück ist tot, es lebe die Collage – eines Formats, dem man früher das Adjektiv postmodern verliehen hätte, weil sie von der antiken Tragödie bis zum Hollywood-Gassenhauer alles Greifbare zu einer Farce zusammenklaubt. Hier schweigen keine Lämmer, hier feixen fette Männer mit Babygesichtern traumatisch in den Bäumen. Hier trägt der Ödipus den Namen Bishop wie der Androide aus Alien 2. Und hier steht besagter Bishop schon als Elfjähriger ganz campy auf Katherine Hepburn und hat damit die geistige Reife, zusammen mit seiner Mutter einen Flugzeugabsturz zu überleben und an einer namenlosen, ganz und gar nicht weichgezeichneten blauen Lagune zu stranden.

An den Wänden des Brauhauskellers ein Lagunenhimmel, die größere Hälfte des Raumes ein Lagunenstrand, über dem ein Monitor für Fernseheinspielungen hängt. Der Ausstatter Till Kuhnert durfte offenbar aus dem Vollen schöpfen. Schließlich wird hier einem Debüt der Boden bereitet – dem Regiedebüt des schon mehrfach als Spielleiter-Assistent am Bremer Theater tätigen Robert Eichhorn. Und der zeigt sich gleich von Anfang an so phantasiebegabt, uns aus dem echten winternebelgrauen ins lagunenblaue Grauen zu entführen.

„Zisch“macht es und dann „Bumm“: Ein Modellflugzeug saust über die Köpfe hinweg seiner Explosion entgegen. Schon stöckelt Bishops Mutter Phyllis Hogan (Cornelia Kempers) in taubenblauem Kleid und mit dicken Klunkern über den Strand. Was nehmen Sie auf eine einsame Insel mit? Ein Buch? Einen Farbfernseher mit Dolby-Surround? Dies oder das, aber bestimmt nicht diese Mutter, denn sie rheinländert und gibt ihrem hungrigen, stotternden, gebückten Sohn Bishop (Christoph Tomanek) erst Lippenstift zu essen und fordert ihn dann zur kannibalischen Leichenfledderei auf. Einmal auf den Geschmack gekommen, reift das Jüngelchen heran, vergißt zunächst sein Stottern und dann jegliche Tabus.

Auch in dieser Jung-Dramatik läßt Nicky Silver, den das – wichtig, wichtig – Junge Theater (!) neulich mit der „Pterodactylus“-Inszenierung für Bremen „entdeckte“, jungdramatikertypisch die (Film-) Technik von Parallelmontage und Rückblende zum Einsatz kommen: Also erinnern sich Bishop und Phyllis abwechselnd an den fernen Vater/Gatten Howard (Carsten Andörfer); also flirtet der mit einer anderen namens Pam (Anne Schmidt-Krayer); bis das Quartett nach der Rettung der Gestrandeten zu einem ziemlich blutigen Showdown zusammentrifft.

Regisseur Robert Eichhorn nutzt die Strichfassung des Stückes, ähem, der Collage für ein so flottes wie schräges Schauspiel, dem Musikeinspielungen („Mubble Jeans“– instrumental!) und Kostüme zwischen Giftgrün und Pollunder quietschend den Look der 70er Jahre überbürsten. Anything goes, bis nichts mehr geht.

Denn wieder einmal singt der Farcenschreiber Nicky Silver das Lied vom Ende der Familie. Doch er rührt noch mehr hinein. Voll endzeitgemäß negiert Silver jede Aufklärung unter Verwendung ihres Vokabulars: Daß seine Figuren genauso unentwegt in psychoanalytischem Küchenlatein quatschen wie von Filmen, macht sie eben nicht schlauer, beschert uns aber mindestens einen schrillen und tragikomischen Theaterabend.

Denn unter den Vieren gewinnen vor allem die in Bühnenzweisamkeiten durch das „Medeamaterial“schon erprobten SchauspielerInnen Christoph Tomanek als Bishop und Cornelia Kempers als Phyllis ihren Rollen eine ganze Menge ab. Wie Tomaneks Bishop langsam zum Tier und Kempers Phyllis daran genauso langsam irre wird, lohnt allein schon den Besuch des Brauhauskellers unterm Schauspielhaus, wo so wunderbar Verrückte seit Karusseits „Herr Paul“und Schmeides „Yvonne“nicht mehr zu sehen waren. Christoph Köster

Aufführungen: Heute, 23.12., sowie 9., 10., 13. und 20.1. um 20.30 Uhr im Brauhauskeller