: Bundeswehr warnt vor Genwaffen
■ In einer vertraulichen Studie der Bundeswehr wird vor der Gefahr genmanipulierter Waffen gewarnt. Doch Molekularbiologen bezweifeln, daß diese Waffen sich überhaupt auf bestimmte Menschengruppen zuschneiden
Berlin (taz) – Die Gentechnik wird nach Ansicht von Militärexperten der Bundeswehr auch für die Kriegsführung eingesetzt werden.
Dies geht aus einer vertraulichen Studie der Bundeswehr mit dem Titel „Streitkräfteeinsatz 2020“ hervor, die der taz in Auszügen vorliegt. Durch die Gentechnik sei mit „neuen, schwer entdeckbaren Mikroorganismen sowie einer wachsenden Anzahl von Toxinen zu rechnen, die das Abwehrproblem erheblich verschärfen werden“, heißt es in der Studie. Doch damit nicht genug: Die Fortschritte in der Gentechnik könnten langfristig sogar zur Entwicklung biologischer Waffen „gegen genetisch unterschiedliche Menschengruppen“ führen, lautet eine der Prognosen.
Bereits 1993 hatte ein schwedisches Forscherteam vor der Entwicklung solcher Ethno-Waffen gewarnt. Deren Erreger wären gentechnisch so manipuliert, daß sie die angreifenden Soldaten einer bestimmten Ethnie schädigen, die einheimischen Verbände aber unbehelligt lassen. Die Autoren der Bundeswehrstudie bewerten solche Waffen als eine „völlig neue Bedrohung“, der „keine hinreichenden Abwehrmaßnahmen entgegengestellt werden“ könnten.
Die Studie, die künftige Kriegsszenarien untersucht, wurde von der Bundeswehrspitze, dem Militärischen Führungsrat (MFR), in Auftrag gegeben und vom Amt für Studien und Übungen der Bundeswehr bereits 1996 fertiggestellt. Bis heute wird die Studie unter Verschluß gehalten.
Kritiker zweifeln die Schlüsse der Militärplaner allerdings an. „Die Studie wurde von einer Abteilung der Hardthöhe verfaßt, die nicht über das nötige Fachwissen verfügt“, mutmaßt Erhard Geißler, Molekularbiologe am Berliner Max-Delbrück-Zentrum. Die Entwicklung sogenannter ethnischer Waffen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen bezeichnet er als eine „äußerst unrealistische Horrorvision“.
Das genetische Material der Menschen sei viel zu heterogen, als daß die Entwicklung eines solchen Kampfstoffes realistisch sei. Zudem stoßen sich Wissenschaftler an dem „Rassenbegriff“ der Militärexperten, der wissenschaftlich nicht haltbar sei. Der US-amerikanische Genetiker Kenneth Kidd erklärt, daß es genetisch gesehen überhaupt keine ethnischen Gruppen oder Rassen gibt. Die Entwicklungsgeschichte der Spezies Mensch sei zu kurz, als daß sie sich in Rassen hätte aufspalten können. Der Berliner Molekularbiologe Geißler will sogar eine Nähe zur Ideologie der Nationalsozialisten erkennen: „Daß sich unser Verteidigungsministerium so unkundig beraten läßt, gibt Anlaß zur Beunruhigung.“
Unbestritten ist, daß die Gentechnik bereits heute die Möglichkeiten der Kriegsführung revolutioniert hat. Denn die Massenproduktion von Toxinen stellt heute kein technisches Problem mehr dar. Geißler: „In wenigen Tagen kann ein Land die zivile Produktion von Toxinen auf eine militärische Umstellen.“ Eine umfassende internationale Kontrolle sei – wie der Fall Irak zeige – „nahezu unmöglich“. Darüber hinaus macht es die Gentechnik heute möglich, völlig neue Viren und Erreger zu entwickeln, gegen die bislang keine Impfstoffe existieren. Der Molekularbiologe Geißler spricht bereits von einer „zweiten Generation von B-Waffen“.
Zwar gibt kein Land der Welt offiziell zu, die nach der Genfer Konvention verbotenen B-Waffen-Programme zu unterhalten. Geheimdienste gehen aber davon aus, daß neben dem Irak zwölf Staaten B-Waffen produzieren, unter anderem der Iran.
Wie hoch die Gefahr eines B-Waffen–Einsatzes heute international eingeschätzt wird, zeigt das Beispiel USA: Ab 1998 sollen sämtliche Soldaten der US-Armee präventiv gegen Milzbrand-Erreger geimpft werden. Zunächst sind jene 100.000 Soldaten an der Reihe, die im Irak und in Süd-Korea stationiert sind. Man will sie so vor einem möglichen gegnerischen Einsatz dieses tötlichen Erregers schützen. In diesem Jahr gaben die Vereinigten Staaten rund 50 Prozent mehr vom Etat ihres Verteidigungshaushaltes für die Molekularforschung aus als noch vor zehn Jahren.
Auch die Bundeswehrstudie stellt fest: Die Entwicklung von „biologischen und chemischen Programmen“ werde heutzutage „von einer wachsenden Zahl von Akteuren – auch nichtstaatlichen – beherrscht“. Die Autoren rechnen nicht nur damit, daß auch die Bundesrepublik Deutschland mittelfristig in den Wirkungsbereich von Raketen rückt, die mit entsprechenden Waffen bestückt sein könnten. Hohe Wahrscheinlichkeit hätten darüber hinaus auch „terroristische Maßnahmen durch Gruppen, die im Lande schon vertreten sind“.
Die Studie weist darauf hin, daß die Bundesrepublik auf den Fall solcher Terroranschläge nur mangelhaft vorbereitet ist. Es wird gefordert, die entsprechenden Konzepte des Zivil- und Katastrophenschutzes weiterzuentwickeln. Noel Rademacher
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