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Flucht ins Leben

■ Die Aeronauten geben keine Versprechen, aber erfüllen alle Anforderungen, die man an die Pop-Musik stellen darf – jetzt noch einmal auf dem großen „Hinterzimmer“-Festival

Das Jahr geht zu Ende, wie das Jahr angefangen hat. Mit den Aeronauten nämlich, die zwar wissen, daß sich alle Welt nur um die eigene Achse dreht, die aus dieser Kreisbewegung aber noch die eine oder andere neue Erkenntnis schälen. Als 1997 noch ganz jung war, da brachte die Band Jetzt Musik heraus, ein Album mit Liedern, dessen hemdsärmelige Riffs und stolze Bläser schnurstracks nach vorne ziehen, ohne in ihren Reimen sowas wie Fortschritt zu simulieren.

Weshalb sie knapp 12 Monate später – also nach ungefähr 350maligem Hören – kein bißchen schal klingen. Wer kein Versprechen gibt, kann auch keins brechen. Die Verheißung liegt hier in der schönen Melodie, und die ist der unschönen Welt zwangsweise immer ein paar Längen voraus.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich kommen auch sie keineswegs ohne Verbindlichkeiten aus. Wer nicht glaubt, ist tot, und die Aeronauten sind das Leben selbst. Aber sie gehören nicht zu jenen Menschen, die das unbedingt herausschreien. Sie sind lakonisch – selbst wenn sie ihre Liebe erklären. Wie in „Schuldigung“, dem einen Hit des Jahres. Und der Gipfel des Glücks liegt für diese Gemütsmenschen darin, mit einem Kumpel im Auto durch die Gegend zu kurven. Nur so. Wie in „Eddie und ich“, dem anderen Hit des Jahres.

Sinnig, daß die Aeronauten beim großen Festival der kleinen Hinterzimmer-Konzertagentur in der Markthalle mit Fink und Ladies Love Knarf Rellöm aus Hamburg zusammen spielen. Fink fungieren als lakonische Tragöden, Knarf Rellöm übt sich ganz unbekümmert in Erinnerung. Große Erzähler sind sie allesamt, aber sie lassen sich selbst nur selten von ihren großen Erzählungen überrollen.

Da erscheint es übrigens auch überhaupt nicht heikel, daß die Aeronauten mit „Countrymusik“– noch so'n Hit – einen Schlag gegen eben jenes Genre austeilen, dem Fink in ihren Liedern auf ganz eigene Weise neue Aspekte abgewinnen. Denn, klar, gegen Country selbst hat auch das Ensemble aus der Schweiz sicherlich nichts einzuwenden. Nur gegen jene Typen, die sich in ihn hineinflüchten, weil sie sich anmaßen, das Leben da draußen zu kennen und es – mir nichts, dir nichts – für scheiße befinden zu können.

Das Tolle an den Aeronauten aber ist: Ihre Fluchtbewegungen führen direkt zurück ins Leben.

Christian Buß

Die Aeronauten, Fink, Vermooste Flöten und Knarf Rellöm: Di, 30. Dezember, 20 Uhr, Markthalle

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