: Weihnachtsgeschenk für einen Neonazi
■ Dank Staatsanwalt muß der Zeesen-Schütze nicht in den Knast. Das Verfahren wurde jahrelang verschleppt. Jetzt gab es nur Bewährung
Potsdam (taz) – Ein verschlepptes Verfahren findet sein vorläufiges Ende: Die Jugendkammer des Landgerichts in Potsdam sprach gestern ihr Urteil gegen zwei Neonazis, die im August 1991 auf eine Gruppe Autonomer vor dem besetzten Schloß Zeesen, 30 Kilometer südlich von Berlin, geschossen hatten. Der Niederländer Jurjen de Vries war am Oberarm getroffen worden. (siehe taz vom 19.12.)
Der Angeklagte Maik P., der den Wagen gefahren hatte, wurde unter Einbeziehung laufender Bewährungsstrafen zu zweieinhalb Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der Schütze Eric O. kam mit einer Jugendstrafe von zwei Jahren zur Bewährung davon. Auch hier wurden laufende Strafaussetzungen berücksichtigt.
Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre gebraucht, um Anklage vor dem Schwurgericht zu erheben und so den beiden Angeklagten zu einem milden Urteil verholfen. Lange Zeit waren Akten nicht bearbeitet worden; als sich 1993 die Kronzeugin Ines L. meldete, war sie nur informell und nicht wie vorgeschrieben zeugenschaftlich vernommen worden. Einem Hinweis des Verfassungsschutzes ging der Staatsanwalt nicht nach, und das Verfahren gegen einen der Schützen, Renato P., wurde „wegen Geringfügigkeit“ eingestellt.
Die Staatsanwaltschaft habe gegen das Beschleunigungsgebot der Genfer Konvention verstoßen, sagte der Vorsitzende Richter Klaus Przybilla. Die Verzögerung von Verfahren durch die Staatsanwaltschaft ist ein anerkannter Strafmilderungsgrund. Christoph Kliesing, Anwalt des Opfers und Vertreter der Nebenklage sagte in seinem Plädoyer: „Die Angeklagten können hier der Staatsanwaltschaft sehr dankbar sein, daß sie vielleicht zwei Jahre sparen.“
Die Tat war nur noch schwer zu rekonstruieren. Beide Angeklagte erklärten sich für nicht schuldig. Die Zeugin Ines L., die Maik P. und Eric O. schwer belastet hatte, konnte sich vor Gericht nicht mehr erinnern. Unklar blieb, welche Munition auf Jurjen de Vries abgefeuert wurde. Sachverständige sprachen von Luftgewehrmunition oder Stahlkugeln, von einem Kaliber zwischen zwei und sechs Milimeter. Sie erklärten, daß die Waffe auch tödlich verletzen könne. Der Durchschuß in de Vries' Arm hatte die Arterie angekratzt. Bei einer Verletzung der Arterie hätte de Vries vor Ort zu verbluten gedroht.
Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Der Staatsanwalt wollte nach sechseinhalb Jahren nicht mehr fordern als eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und eine Bewährungsstrafe. Nur Nebenkläger Christoph Kliesing sah den Tatbestand des versuchten Mordes erfüllt.
Nach dem Urteilsspruch kündigte der Anwalt von Maik P. Revision an. Auch Christoph Kliesing ist mit dem Urteil nicht zufrieden. Er sieht ein Mißverhältnis zwischen der Strafe des bekannten Neonazi Eric O., der auch geschossen hatte, und der Strafe des Fahrers Maik P. Der Nebenkläger Jurjen de Vries, der seit sieben Jahren in Berlin lebt, hatte vom ersten Prozeßtag an im Gerichtssaal gesessen. Er schlägt eine ganz andere Strafe vor: „Die beiden sollten zur Entwicklungshilfe nach Afrika geschickt werden.“ Sascha Borrée
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