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Symbolfigur des luxuriösen Mailand

■ Giorgio Strehler verkörperte wie kein anderer die Bühnenlandschaft seines Landes – nicht zuletzt mit seinen Widersprüchen. In Italien hat man ihn bereits in den Olymp aufgenommen

De mortius nil nisi bene – Italien übt sich wieder mal in der Tradition, Toten nichts Übles nachzusagen. Und so ist der am Weihnachtstag in Lugano an einem Herzschlag gestorbene Regisseur Giorgio Strehler für die Medien, Politiker und seine Mitarbeiter bereits unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Nachricht im Olymp gelandet.

Vergessen ist, daß er vor drei Jahren in den Strudel der Ermittlungen um Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben hineingeraten war; vergessen auch, daß er sich als Zugpferd für die dann als Oberkorruptlinge erwiesenen Sozialisten ins Europäische Parlament hat wählen lassen, sich später aber einen Dreck um seine Aufgabe als Volksvertreter kümmerte; vergessen auch, daß er seine Schauspieler häufig peinigte und sie, wie etwa die Brecht-Interpretin Milva, mit Sprüchen wie „porcva puttana“, dreckige Hure, malträtierte.

Strehler, 1921 in Triest geboren, doch seit jungen Jahren „überzeugter Mailänder“ (Strehler über Strehler), verkörperte wie nur wenige Italiens Bühne. Selbst als er Generalintendant des Europäischen Theaters in Paris war, schielte Italiens Bühnenwelt ausschließlich zu ihm hinüber.

So weltläufig Strehler auch war – als Symbol taugte er vor allem für das „Milano da bere“ der achtziger Jahre, obwohl er just nicht zu dieser Zeit in seiner Wahlheimatstadt arbeitete: das „Mailand zum Trinken“, wie sich die lombardische Zentrale gern selbst nannte, die Metropole der Neureichen, die sich von den gewöhnlichen Sterblichen vor allem durch den luxuriösen, den aufwendigen, den pompösen Kulturkonsum unterscheiden wollte; Leute, die aus dem Börsenplatz Mailand die eigentliche Hauptstadt Italiens machen wollten. Doch es reichte nur zur Hauptstadt der Schmiergeldrepublik – und als Strehler des Subventionsschwindels bezichtigt wurde, kehrte er der Stadt beleidigt den Rücken. Erst als ihn die Justiz, ohne wirkliche Rehabilitation zwar, aber auch ohne Sanktionen, aus ihren Klauen ließ und Berlusconis neue Garde an die Glanzzeiten der Sozialisten anzuknüpfen versuchten, nahm er wieder Verhandlungen auf, um schließlich erneut in die Leitung des Piccolo Teatro einzuwilligen. Mozarts Oper „Cosi fan tutte“, die Strehler gerade inszenierte, soll nun Ende Januar noch einmal zur triumphalen Erinnerung an den Regisseur werden. Werner Raith, Rom

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