Der Exodus der starken Werfer

Die kubanische Baseball-Nationalmannschaft ist verwundbar geworden, weil es die talentierten Pitcher mit Macht in die USA zieht, wo sie wie World-Series-Gewinner Livan Hernandez Ruhm und Dollars ernten wollen  ■ Aus Havanna Knut Henkel

Die Baseballmütze tief ins Gesicht gezogen sitzt Ronal Duarte in den Katakomben der Ciudad Deportiva, dem Mekka des kubanischen Baseballsports, und analysiert gelassen, was in den Straßen Havannas für viel Aufregung sorgte: die erste Niederlage der kubanischen Nationalequipe seit dem Juli 1991. „Jede Siegesserie muß einmal reißen. Wir haben einfach schlecht gespielt, während die Japaner toll aufgelegt und in allen Belangen klar besser waren.“ Fast schon lapidar klingt das aus dem Munde eines Mannes, der sich selbst als Baseballverrückten bezeichnet und für die Nachwuchsförderung an der Sportakademie Havanna verantwortlich ist. Unter seinen Fittichen trainieren die besten Nachwuchsspieler, um sich für die nationalen Meisterschaften zu empfehlen.

Duarte, 27jähriger Modellathlet, will sich von der Hysterie, die in Kuba herrscht, seitdem das sportliche Aushängeschild des Landes ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit verlor, nicht anstecken lassen. Nach der 2:11-Schlappe gegen Japan Anfang August im Finale des Baseball-Cups in Barcelona, dem wichtigsten Nationenturnier abseits der Olympischen Spiele, und den folgenden vier Niederlagen bei der Asientour reagierten die Fans mit schwarzem Humor. Fortan sprach man in den Straßen Havannas zumeist von den „Toten“, wenn es um die ehemaligen Nationalhelden ging. Für Duarte ist klar, woran es in der Nationalmannschaft, aber auch der kubanischen Liga hapert. „Wir haben Schwächen beim Werfen, uns fehlen die Pitcher der Extraklasse. Die anderen Mannschaftsteile haben sich ganz anständig präsentiert“, erläutert der ausgebildete Sportlehrer mit sorgenvollem Gesicht.

Während die Verantwortlichen auf allen Positionen aus dem vollen schöpfen können, über Spieler wie Omar Linares an der Third Base, Orestes Kindelan oder Antonio Pacheco im Infield verfügen, die jede Mannschaft der Welt mit Kußhand nehmen würde, sieht es bei den Werfern inzwischen trübe aus. Duarte und mit ihm ganze Heerscharen an Trainern suchen händeringend nach neuen Talenten, die dem kubanischen Nationalsport aus der Krise helfen können. Einer der Hoffnungsträger ist Ormary Romero, bester Newcomer der kubanischen Liga im vergangenen Jahr. Aber auch in der kubanischen „Entwicklungsliga“ der unter 23jährigen warten einige Talente, wie der 20jährige Juan Alvarez, auf den Duarte große Stücke hält, auf ihre Chance. Der langaufgeschossene schlaksige Spieler aus der Provinz Havanna demonstriert beim Sichtungstraining in der Ciudad Deportiva seine Fertigkeiten. Ungerührt steht er auf dem 25 cm hohen Hügel und bringt die Schläger reihenweise zur Verzweiflung mit seinen variantenreichen Würfen. Nach neun Innings in der prallen Sonne darf der vor Schweiß glänzende weißhäutige Pitcher damit rechnen, zu höheren Weihen zu kommen, sprich an den 37. kubanischen Baseball-Meisterschaften teilzunehmen.

Einer der den Meisterschaften nicht in gewohnter Manier seinen Stempel aufdrücken wird, ist Jorge Fuentes. Der Erfolgstrainer vom Champion Pinar del Rio mußte seinen Stuhl einem Jüngeren überlassen und ist auch seinen Posten als Direktor der Nationalmannschaft los. Für eingefleischte Baseballfans, wie den 48jährigen Jesús Ursula, kein Wunder, denn „wer die Copa verliert, hat mit Konsequenzen zu rechnen“. Allerdings ist Fuentes nur der Sündenbock. Zwar wurden dem Trainer, der für die beiden Olympiasiege von 1992 und 1996 verantwortlich zeichnete, auch Fehler bei der Aufstellung der Mannschaft vorgehalten, aber der Aderlaß des kubanischen Baseball hat eben auch vor dem Nationalteam nicht haltgemacht, weiß Elio Menéndez, kubanischer Sportjournalist. Den Anfang machte Kubas Wurfwunder René Arocha, das sich 1991 in die USA absetzte. Ihm folgte vor zwei Jahren ein weiterer Ausnahmepitcher, Livan Hernandez, der mittlerweile bei den Florida Marlins für Furore sorgt und zum besten Spieler der von dem Team aus Miami gewonnenen World Series gewählt wurde. Letztes Jahr machten sich gar vier Spieler von Villa Clara samt stellvertretendem Nationalcoach gen USA davon. „Insgesamt sind es rund 15 Spieler, die Kuba in den letzten Jahren den Rücken kehrten, darunter die besten Pitcher“, erklärt Menéndez.

Aber nicht allein die Abwanderung von Leistungsträgern hat dem kubanischen Baseball geschadet, sondern auch strukturelle Defizite, die in den letzten Wochen bei diversen Krisensitzungen zur Sprache kamen. Moniert wurde, daß die Liga an Attraktivität eingebüßt habe, seitdem in vier verschiedenen regionalen Gruppen gespielt werde. Aufgrund dieser Regelung treffen die stärksten Teams aus Villa Clara, Pinar del Rio, Santiago und die Industriales aus der Hauptstadt erst in den Play-offs, der Copa de la Revolución, aufeinander. Auch sei es nicht zeitgemäß, erfolgreiche Spieler mit dreißig Jahren in den Ruhestand zu schicken, obgleich sie noch locker mit dem Nachwuchs konkurrieren könnten. In Kuba müsse unter den gleichen Bedingungen gespielt werden, wie es in den anderen Ligen der Welt der Fall sei, wo sich die Talente eben durchbeißen müssen. Doch dazu gehört, so Enrique Paumien Aluazez, Jugendtrainer aus Havanna, auch die materielle Absicherung der Spieler. „Wie sollen sie sich auf ihren Job konzentrieren, wenn sie Schwierigkeiten haben, ihre Familien zu versorgen?“ Aluazez spricht aus eigener Erfahrung, denn auch sein karger Lohn reicht hinten und vorne nicht, um seine Frau und die drei Kinder über die Runden zu bringen. „Ich liebe meine Arbeit mit den 7- bis 8jährigen hier, aber ein Angebot aus dem Ausland würde ich meiner Familie zuliebe nicht ausschlagen“, bekennt er achselzuckend.

Die unbefriedigende materielle Situation vieler Spieler ist es auch, die den großen Unterschied zwischen der kubanischen Liga und den Profiligen in den USA, Australien oder Japan ausmacht. „Hier wird sehr professionell gearbeitet, allerdings haben sich unsere Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren merklich verschlechtert. Trainer wie Spieler konnten früher problemlos von ihren Gehältern leben, heute ist der kubanische Peso wesentlich weniger wert als zu Beginn der neunziger Jahre – die Gehälter sind jedoch die gleichen geblieben“, erläutert Manuel Zayas von Cubadeportes, einer Gesellschaft, die für die Vermarktung des kubanischen Spitzensports verantwortlich ist. Die Anforderungen an Cubadeportes werden in den nächsten Jahren merklich steigen, denn zukünftig sollen die Baseballspieler für ihre Kunst besser entlohnt werden, weshalb die Kubaner darauf drängen, die internationalen Baseballevents besser zu vermarkten.

Auch die Liga soll neu strukturiert werden, damit alles wieder so wie früher wird, als Philippe Nevin, „Spieler des Jahres 1992“ der National League Baseball, nach der Finalniederlage bei den Olympischen Spielen in Barcelona den denkwürdigen Satz von sich gab: „Man hat das Gefühl die Kubaner sind andere Wesen, sie sehen die Bälle einfach eher als wir.“