Mit Waffen für ein unabhängiges Kosovo

Zu Tausenden demonstrieren albanische Studenten in der südserbischen Provinz Kosovo gegen die Belgrader Herrschaft. Immer mehr von ihnen sympathisieren jetzt mit dem bewaffneten Kampf einer „Befreiungsarmee“  ■ Von Andrej Ivanji

Belgrad (taz) – Tausende von albanischen Studenten gehen auf dem linken Bürgersteig der Vidovdanska Straße im Zentrum von Priština, der Hauptstadt der Provinz Kosovo, demonstrierend auf und ab. Es ist ganz still, es werden keine Parolen skandiert, keine Trillerpfeifen sind zu hören, auch Transparente sind nirgends zu entdecken. Die Atmosphäre gleicht eher einem Gefängnishof als einer Demonstration. Unter dem wachsamen Auge schwerbewaffneter serbischer Polizisten sprechen die jungen Albaner kaum miteinander. Sie haben Angst. Die Erinnerung an die Ereignisse vom vergangenen Sommer ist noch gegenwärtig. Da hatte die serbische Polizei die Studentendemonstrationen brutal niedergeschlagen.

Doch seit einigen Tagen marschieren die jungen Leute wieder. Auch für den heutigen Dienstag sind im Kosovo – eine Region im Süden Serbiens, in der die Albaner 90 Prozent der Bevölkerung stellen – wieder Massenproteste angekündigt. „Können Sie sich das vorstellen?“ beklagt sich der 19jährige Skelse. „In meinem Gymnasium habe ich nicht einmal die Tafel gesehen oder auf einem Stuhl gesessen. Wenn ich nach Hause gehe, kann mich ein Polizist prügeln, verhaften und niemand wird zur Verantwortung gezogen.“

Die Schüler und Studenten fordern vor allem eine Reform des Bildungswesens im Kosovo. Sie verlangen freien Zugang zu Schulen und Universitäten sowie eigene Lehrpläne in ihrer Muttersprache. Zwar haben die Albaner seit der Gründung der von Serbien nicht anerkannten unabhängigen Republik Kosovo im Jahre 1990 ihre eigenen Schulen und Universitäten. Deren Abschlüsse werden von der serbischen Regierung in Belgrad aber nicht anerkannt.

Doch gehen die Kosovo-Albaner dieser Tage nicht nur für grundlegende Änderungen im Bildungswesen auf die Straße. Ihr Ziel heißt: Eine unabhängige Republik Kosovo. „Wir müssen immer wieder auf uns aufmerksam machen, wir müssen die internationale Gemeinschaft dazu bewegen, sich energischer einzumischen“, sagt einer der Studentenführer.

Vor acht Jahren hob Slobodan Milošević im nationalistisch erwachenden Serbien kurzerhand die in der Verfassung festgeschriebene Autonomie des Kosovo auf. Seitdem boykottieren die Albaner den serbischen Staat und alle seine Einrichtungen. Die serbische Polizei, das Heer, jeden serbischen Staatsbeamten betrachten sie als Vertreter einer Besatzungsmacht.

„Der neue serbische Präsident Milan Milutinović?“, fragt der albanische Jura-Student Adem Rutini ironisch. „Interessiert uns nicht. Was die Serben machen, geht uns nichts an. Nach all den Jahren der Repression können wir uns nicht mit irgendeinem Autonomiestatus zufriedengeben. Wir wollen raus aus Serbien und deshalb werden wir für ein unabhängiges Kosovo kämpfen.“

Besonders die jungen Albaner verlieren zunehmend die Geduld. Die betont friedliche Politik ihres bisher unantastbaren Präsidenten Ibrahim Rugova hat keine Ergebnisse gebracht. Jetzt ist Rugovas Autorität angeschlagen. Seine Losung „Wir müssen offene Auseinandersetzungen unter allem Umständen vermeiden“ nehmen nur noch wenige ernst. Die USA und die EU bringen zwar die, so die Diplomatenfloskel, „dringend erforderliche Lösung der Kosovo- Frage“ immer wieder auf die Tagesordnung, doch sie sehen die Lösung nur innerhalb Serbiens. Denn die Verantwortlichen im Westen wissen, daß es völlig unrealistisch wäre, von Belgrad zu verlangen, das „heilige serbische Land“ Kosovo aufzugeben. Und so beschränken sich Verhandlungen zwischen der serbischen Regierung und Rugova auf eine kulturelle Autonomie des Kosovos.

Doch immer mehr junge Albaner glauben, von der Welt nur ernstgenommen zu werden, wenn das Land in Blut versinkt. Sie wollen den Weg einschlagen, den sie bei Iren und Kurden studiert haben. Der anarchistische Leitsatz „Je schlimmer, desto besser“ findet immer mehr Anhänger.

Ausdruck der wachsenden Radikalisierung ist die sogenannte „Befreiungsarmee Kosovos“. Hier versammeln sich all jene, die es leid sind, Opfer zu sein und die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen wollen. Anfangs als Mythos abgetan und weitgehend im Untergrund tätig, agiert die bewaffnete Organisation mittlerweile ganz offen. Sie greift serbische Polizisten an, aber auch Albaner, die mit den Behörden kooperieren. Die „Befreiungsarmee“ kontrolliert bereits ganze Territorien, in die sich die serbische Polizei nicht mehr hineinwagt. Allein in diesem Jahr wurden Dutzende von Terroraktionen verzeichnet, mehrere Menschen kamen auf beiden Seiten ums Leben. Unlängst kam es zu Schlachten mit der serbischen Polizei, die dabei auch Panzer und Hubschrauber einsetzte.

Ehemalige albanischstämmige Offiziere der Volksarmee und Polizei, die zu Titos Zeit angesehene Positionen hatten, schließen sich der Organisation an. Allerdings ist noch kein Name eines Anführers der „Befreiungsarmee“ bekannt geworden. Der frühere kommunistische Politiker Asem Vilasi, dessen Verhaftung Slobodan Milošević angeordnet hat und der heute in Priština als Anwalt arbeitet, ist überzeugt: „Der Ausbruch des Krieges im Kosovo ist nur eine Frage der Zeit!“