: Vor allem an Chinas Umsetzung hapert es
Chinas Regierung hat die Bedeutung des Umweltschutzes erkannt. Jetzt will sie im großen Stil wiederaufforsten ■ Von Christian Schmidkonz
München (taz) – Chinas Regierung hat am Samstag ein großes Umweltprogramm für die Täler des Jangtse und des Gelben Flusses angekündigt. In den nächsten 33 Jahren sollen für die Wiederaufforstung der Gebiete um die beiden Ströme, die als Wiege der chinesischen Nation gelten, 230 Milliarden Yuan (rund 47 Millionen Mark) bereitgestellt werden. Das berichtete am Samstag die regierungsnahe englischsprachige Zeitung China Daily. Erstmalig will die Zentralregierung in Peking 60 Prozent der für dieses Projekt benötigten Mittel aufbringen. Wiederaufforstungsprojekte wurden bislang allein von den lokalen Kommunen finanziert. Noch in diesem Jahr solle mit einem Pilotprogramm begonnen werden, so der Planungsdirektor im Forstministerium, Lei Jiafu.
Die Zeitung macht die industrielle Entwicklung und die Überbewirtschaftung der Natur für die Umweltschäden in den beiden Flußtälern verantwortlich. 40 Prozent der Region, die 26 Prozent der Fläche Chinas ausmacht und wo über die Hälfte des chinesischen Bruttosozialproduktes erwirtschaftet wird, ist von Erosion betroffen. Bis zum Jahr 2030 sollen durch die Neupflanzung von 26 Millionen Hektar Wald rund zwei Drittel der Erosionsschäden unter Kontrolle gebracht werden.
Das Programm hat sechs Schwerpunktregionen, darunter auch das Gebiet um den umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamm in der mittleren Region des Jangtse. Nach Meinung von Experten sind die Umweltzerstörungen, die von dem im Bau befindlichen weltgrößten Staudammprojekt ausgehen, noch nicht in ihrer gesamten Tragweite absehbar.
Chinas Regierung hat in den letzten Jahren die Anstrengungen im Umweltschutz verstärkt. Bisher wurde nach dem Motto verfahren: „Erst wird industrialisiert, dann aufgeräumt.“ Doch die bisherigen Maßnahmen reichten bei weitem nicht aus, um die durch die rasante industrielle Entwicklung entstehenden Zerstörungen aufzuhalten. Während es vor allem bei der Umsetzung der in den letzten Jahren verschärften Gesetze mangelt, hat sich die Umweltsituation weiter dramatisch zugespitzt.
In China sterben jährlich 850.000 Menschen an den Folgen der verseuchten Umwelt, heißt es in einem Bericht der Weltbank. Außerdem kommen pro Jahr 7,4 Millionen Neuerkrankungen an Bronchitis hinzu. Nach Schätzungen der Weltbank werden die zusätzlichen Gesundheitskosten, die allein durch die städtische Luftverschmutzung entstehen, von 59 Milliarden Mark 1995 auf 180 Milliarden Mark im Jahr 2020 steigen.
Das Umweltbewußtsein der Bevölkerung ist zwar gering, doch sind immer weniger Chinesen bereit, Umweltzerstörung in ihrer Nachbarschaft kommentarlos hinzunehmen. Inzwischen gehen im Jahr mehr als 150.000 Beschwerden über Umweltverschmutzung bei den Behörden ein.
Dabei hatte alles doch so gut angefangen: Nach der Umweltkonferenz von Rio 1992 war China unter den ersten Ländern, die die „Agenda 21“ unterzeichneten. Im selben Jahr wurde das internationale Expertengremium „China Council for International Cooperation on Environment and Development“ eingesetzt, das die verantwortlichen Politiker des Landes bei der Implementierung ökologischer Zielsetzungen in der Wirtschaftspolitik beraten sollte.
1994 arbeitete die Regierung eine 250 Seiten starke, nationale „Agenda 21“ aus. China war weltweit das erste Land, das solch ein Papier vorlegte. Doch das sozialistische Erbe völlig unterbewerteter Ressourcen und die neue Losung vom schnellen Reichtum sind für die Umwelt fatal. Hinzu kommt, daß insbesondere in ländlichen Regionen und Kleinstädten letztlich der politische Wille fehlt, um dem Umweltschutz den Vorzug vor Maßnahmen zu geben, die vermeintlich schnellen Reichtum versprechen.
Dennoch hat die Regierung auch schon zu drastischen Maßnahmen gegriffen. 1996 waren innerhalb weniger Wochen 60.000 kleine Industriebetriebe geschlossen worden, die für starke Umweltzerstörungen verantwortlich gemacht wurden. Am Fluß Huai in der dichtbesiedelten Provinz Anhui wurden allein 999 Papiermühlen geschlossen. Viele konnten allerdings einige Kilometer weiter wieder die Produktion aufnehmen. In Modellregionen wird nun mit Umweltabgaben experimentiert, die aber noch sehr niedrig sind.
In die Indikatoren des rasanten Wirtschaftswachstums geht der versäumte Umweltschutz bisher nicht ein. Dabei rechnet die staatliche Umweltbehörde Nepa vor, daß sich die jährlich anfallenden Umweltschäden auf acht Prozent des Bruttosozialproduktes belaufen. Allein durch sauren Regen entstehen in China jährlich wirtschaftliche Schäden in Höhe von umgerechnet 2,92 Milliarden Mark. Nach Angaben der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua sind 28 Prozent der Landfläche von saurem Regen betroffen. Der größte Verursacher der Luftverschmutzung ist immer noch die Verbrennung von Kohle, durch die über 75 Prozent des Energiebedarfs gedeckt werden. Das staatliche Statistikamt gibt den Anteil der Wasserkraft an der Energieerzeugung mit etwas mehr als sechs Prozent an. Der Rest wird durch Erdöl und -gas, sowie zu einem bislang verschwindend geringen Teil durch Atomkraft gedeckt.
Besonders in den Großstädten ist inzwischen auch der Verkehr zu einem großen Problem geworden. Um der Luftverschmutzung durch Abgase entgegenzutreten, wurde in Peking am 1. Januar verbleites Benzin verboten. Bei einer Studie waren kürzlich bei 70 Prozent der Kinder in der chinesischen Hauptstadt erhöhte Bleiwerte im Blut festgestellt worden. In Peking gibt es der Studie zufolge zwar nur zehn Prozent der Autos der amerikanischen Stadt Los Angeles, sie produzieren aber fast genauso viele Abgase.
Die Millionenstädte Schanghai und Guangzhou sollen als weitere Pilotstädte bald folgen. Bis zum Jahr 2000 soll schließlich in ganz China nur noch bleifreies Benzin verkauft werden.
Selbst Japan leidet durch sauren Regen direkt an der chinesischen Luftverschmutzung. Auf einem japanisch-chinesischen Umweltforum Anfang November wurde eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Lösung der chinesischen Umweltprobleme beschlossen. Japan unterstützt China beim Aufbau eines Netzwerkes, das in 100 miteinander verbundenen chinesischen Städten Daten über Luft- und Wasserverschmutzung sammeln soll.
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