: Abtreibung nur vor 20. Woche?
■ Führende Ärztevertreter plädieren für die Änderung des Abtreibungsrechts bei medizinischer Indikation. Behindertes Kind hatte einen Schwangerschaftsabbruch nur schwer verletzt überlebt
Berlin (dpa/taz) – Führende Vertreter der deutschen Ärzteschaft fordern Änderungen im Abtreibungsrecht. Der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, und der Vorsitzende des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery, wollen Abtreibungen nur zulassen, solange das Embryo außerhalb des Mutterleibes noch nicht überlebensfähig ist. Ein Abtreibungsverbot ab der 20. Woche sei sinnvoll, sagte Vilmar im Magazin Focus. Abtreibung dürfe nicht als „nachsorgenden Geburtenregelung“ verstanden werden.
Hintergrund der Forderungen ist eine versuchte Abtreibung im vergangenen Sommer. In Oldenburg wollte eine Schwangere ihren Sohn nicht zur Welt bringen, weil bei ihm das Down-Syndrom festgestellt worden war. Sie entschloß sich in der 25. Woche für einen Abbruch, den der Junge mit schweren Behinderungen überlebte. Die Ärzte hatten ihn nach der Geburt in eine Decke gewickelt und auf seinen Tod gewartet. Erst als er nach zehn Stunden noch lebte, begannen sie die Behandlung. Die Eltern fordern jetzt Schadenersatz und Schmerzensgeld für sich und ihr Kind. Gegen die behandelnden Ärzte ermittelt die Staatsanwaltschaft. Nach deutschem Recht ist bei einer medizinischen Indikation – beispielsweise wenn ein Embryo behindert ist – die Abtreibung zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft möglich, sonst bis zum dritten Monat nach Beratung.
Inzwischen stößt Frauenministerin Claudia Nolte mit ihrer Kritik am Paragraphen 218 auch in der eigenen Partei auf Widerspruch. Der Vorsitzende des Bundestags- Rechtsausschusses Horst Eylmann (CDU) sagte in einem Interview: „Der Plan, das Abtreibungsrecht wieder zu verschärfen, ist sinnlos. Im Bundestag würde sich keine Mehrheit dafür finden.“ Außerdem sei es wahrscheinlich, daß das derzeitige Recht vom Verfassungsgericht bestätigt werden würde.
Auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Brenda, hält eine Klage nicht für erfolgversprechend. „Gegenwärtig ist nicht davon auszugehen, daß das Abtreibungsgesetz verfassungswidrig ist“, sagte er. Claudia Nolte hatte eine Überprüfung des Gesetzes vor Gericht nicht ausgeschlossen. Auch Nachbesserungen der gesetzlichen Neuregelungen seien denkbar, weil die Zahl der Abtreibungen nicht zurückgegangen ist.
Die offizielle Zahl der Abtreibungen war 1996 im Vergleich zum Vorjahr um 33 Prozent auf 130.000 gestiegen. Fachleute führen aber als Hauptgrund an, daß die Mediziner der Meldepflicht eher nachkommen. „Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte, daß die Zahl der Abtreibungen gestiegen ist“, meint auch Horst Eylmann. Statt Frauen mit dem Strafrecht zu drohen, müsse das Erziehen von Kinden in der Gesellschaft wieder einen höheren Stellenwert bekommen. sol
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