: Der Ruf der Unentbehrlichkeit
■ Kann man auf die Meldungsflut der größten deutschen Nachrichtenagentur dpa verzichten?
Wenn die Deutsche Presseagentur (dpa) täglich ihre 100.000 Wörter via Satellit und Fernschreiber verschickt, dann sind das lauter richtige und wichtige Wörter – jedenfalls für viele Journalisten bei Presse, Radio und Fernsehen. Exklusivberichte eigener Korrespondenten werden angezweifelt, wenn es dazu keine dpa-Meldung gibt, und kaum ein Thema wird ausgelassen, über das die „Inkarnation der Wahrheit“ (so ein Fachblatt über die dpa) ausführlich berichtet.
Eigentlich gibt es in Deutschland eine weltweit einzigartige Agentur-Vielfalt: Die Weltagenturen Reuters, Associated Press (AP) und Agence France Presse (AFP) bieten deutschsprachige In- und Auslandsberichterstattung, ddp/ADN berichtet aus dem Inland. Dennoch gilt die dpa als unentbehrlich. Auf die Marktführerin mochte kaum eine Zeitung, ein TV-Sender, eine noch so kleine Privatradioklitsche verzichten. Das weiß der Nachrichtenverkäufer und verlangt gepfefferte Preise. Böse Zungen behaupten, dpa- Führungskräfte kauften am Flughafen gern einen Packen deutscher Heimatzeitungen. Im Flugzeug erfreuten sie sich an den vielen dpa- Texten, mit denen die braven Redakteure von Garmisch bis Flensburg täglich ihre Seiten tapezieren.
Gegen die Frau Malzahn des deutschen Nachrichtenjournalismus gibt es nun eine Art Zwergenaufstand. Fünf landesweite Privatradios boykottieren ein neues Preismodell und deuten an, notfalls ihre Verträge mit der dpa zu kündigen. „Ich lasse mich nicht erpressen und würde notfalls auch ohne die auskommen“, droht Horst Müller, Leiter der Antenne Mecklenburg-Vorpommern.
Früher machte die dpa im Hörfunk die Preise von der technisch möglichen Reichweite eines Senders abhängig. Nun sollen sie an die tatsächlichen Hörerquoten gekoppelt werden. Die Nachrichten würden dann vor allem für erfolgreiche Radios teurer. Es geht um Beträge zwischen 6.000 und 15.000 Mark, die das dpa-Abo einen Sender pro Monat kosten würde. Traditionsgemäß wird im Kommerzfunk möglichst wenig für journalistische Inhalte ausgegeben.
Die Privatradiovertreter ärgert, daß die Kosten vom Erfolg abängig gemacht werden. Thomas Melzer von Radio Brocken aus Sachsen-Anhalt schimpft: „Wenn ich im Supermarkt eine Apfelsine kaufe, kostet die immer das gleiche – egal, ob ich Millionär bin oder Sozialhilfeempfänger.“ Antenne- Thüringen-Chef Hans-Jürgen Kratz sagt, die Agentur wolle sich wohl an seine Erfolge „dranhängen“. Falls er dem neuen Modell zustimme, sei das, als ob die dpa eine zusätzliche Gesellschafterin seines Senders werde. Hingegen verweist dpa-Geschäftsführer Matthias Hardt auf die Preise bei Zeitungen und Fernsehen, die ja auch nach Auflage und Quote berechnet würden. „Die Privatradios sind doch mit unserer Hilfe erfolgreich.“ Das müsse sich auch in den Preisen niederschlagen.
Falls die verärgerten Radiochefs tatsächlich abspringen, wäre der wirtschaftliche Schaden gering: Privatfunk macht für die dpa nach eigenen Angaben weniger als fünf Prozent des Umsatzes aus. Allerdings könnte der Ruf der Unentbehrlichkeit angekratzt werden. Weil es bisher keinen halbwegs ernst zu nehmenden Radiosender ohne dpa-Abo gibt, ist den mißgestimmten Privatfunkern bei ihren Drohungen schon etwas mulmig zumute, und sie betonen ihre Verhandlungsbereitschaft.
Andererseits ist die dpa-Abhängigkeit im Funk geringer als bei Zeitungen. Die Sender bringen in ihren wortarmen Programmen meist nur die Topereignisse in den Nachrichten und benötigen bunte Meldungen, um den Plauderfluß der Moderatoren am Laufen zu halten. Das aber könnten andere Agenturen billiger bieten. Die Regionalberichterstattung könnten notfalls auch eigene Mitarbeiter erledigen. In Ostdeutschland gibt es zudem noch das aus DDR-Zeiten stammende Korrespondentennetz von ddp/ADN.
Bei Regionalzeitungen gibt es den Sündenfall schon. Die zur Holtzbrinck-Gruppe gehörende Lausitzer Rundschau verläßt sich seit rund zwei Jahren nur noch auf Weltagenturen, ddp/ADN-Berichte und eigene Mitarbeiter. Als das auflagenstarke Blatt aus Cottbus dpa abbestellte, ging ein Raunen durch die Branche. Doch trotz des Knarrens im Gebälk erklärt dpa- Chef Hardt heute unbeirrt: „Wir leben auch mit dem Fall Lausitzer Rundschau.“ Freilich hat nun das zweite Holtzbrinck-Blatt gekündigt: Die Saarbrücker Zeitung will als erstes Blatt in den alten Bundesländern ab 1998 endgültig ohne die „Inkarnation der Wahrheit“ auskommen. Georg Löwisch
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