: Asche auf Mowlams Haupt
Britische Nordirlandministerin sucht Ausweg ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Für den Waffenstillstand in Nordirland wird die Luft immer dünner. Am Sonntag abend erteilten die Gefangenen der loyalistischen Ulster Defence Association (UDA) dem Friedensprozeß eine Absage: Rund 60 Prozent der 130 Gefangenen stimmten dafür, den Mehrparteiengesprächen die Unterstützung zu entziehen. Was das für ihren politischen Flügel, die Ulster Democratic Party (UDP), bedeutet, ist noch ungewiß. Bisher war sie beim Runden Tisch mit dabei.
UDP-Chef Gary McMichael versicherte gestern, der loyalistische Waffenstillstand sei nach wie vor intakt. Daran bestehen jedoch Zweifel: Der jüngste Mord an dem 31jährigen Eddie Treanor, der in der Silvesternacht in einer Nord- Belfaster Kneipe erschossen worden war, geht offenbar auf das Konto der UDA. Augenzeugen haben den Fahrer des Fluchtwagens und seine Begleiterin als „führende UDA-Mitglieder“ identifiziert. Zwar hat die Splittergruppe Loyalist Volunteer Force (LVF), deren Anführer Billy Wright vor zehn Tagen im Gefängnis ermordet wurde, die Verantwortung für den Silvesteranschlag übernommen, doch in Wirklichkeit soll keiner ihrer Leute beteiligt gewesen sein.
Die britische Nordirlandministerin Marjorie Mowlam hat gestern alle Parteien ins Belfaster Schloß Stormont gebeten, um in Zwiegesprächen mit ihnen einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise zu finden. Neben der UDP folgte auch die Progressive Unionist Party, der politische Flügel der terroristischen Ulster Volunteer Force, dem Ruf. Parteichef David Ervine hatte jedoch vorige Woche angedroht, die Mehrparteiengespräche zu boykottieren, da er sich von den Regierungen in London und Dublin „ausgenutzt, mißbraucht und abgeschoben“ fühle. Sie hätten bisher nur der IRA gegenüber Zugeständnisse gemacht und deren Gefangene zu Weihnachten vorzeitig aus der Haft entlassen, monierte er. Mowlam streute sich Asche aufs Haupt, um die Situation zu entschärfen. „Manchmal denke ich, daß ich nicht besonders gut darin bin, Leute über bevorstehende Entscheidungen rechtzeitig zu informieren“, räumte sie ein.
Ihre Beziehungen zu der Ulster Unionist Party (UUP), der größten nordirischen Partei, sind mittlerweile ebenfalls am Tiefpunkt angelangt. UUP-Chef David Trimble gerät immer stärker unter Druck von seinen eigenen Leuten, die der Meinung sind, daß Mowlam nicht neutral sei und zurücktreten müsse. „Entweder ist sie blöd, oder sie ist böse,“ sagte ein Parteikollege Trimbles.
Zu den gestrigen Gesprächen im Schloß Stormont waren sie jedoch alle erschienen – sogar Pfarrer Ian Paisley und Robert McCartney, obwohl ihre Parteien bei den Mehrparteiengesprächen nicht mitmachen. Die sollen in der nächsten Phase, die am kommenden Montag beginnt, von Belfast nach London und Dublin verlegt werden, um neuen Schwung in den Friedensprozeß zu bringen. Dazu braucht es aber mehr als einen Ortswechsel.
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