piwik no script img

Im Südwesten geht der Freischuß nach hinten los

■ Überall kürzen Juristen ihr Studium mit dem Freischuß ab, einer Prüfung im achten Semester. Baden-Württemberg mag die Freischützen nicht mehr. Unverträglichkeit mit dem Arbeitsmarkt

Berlin (taz) – Es war eine Studentendemonstration der Luxusklasse. Vor dem Stuttgarter Justizministerium versammelten sich rund 2.000 angehende JuristInnen. Sie fürchten um ihre Referendarsstellen, von denen Baden-Württemberg erstmals nicht genug anbietet. Während ihre Kommilitonen in der ganzen Republik nach wochenlangen Streiks nur schale Solidaritätsadressen einsammelten, widmete sich den aufgeregten schwäbisch-badischen JuristInnen sogleich Justizminister Ulrich Goll (FDP). Er werde „alles dafür tun, daß ihre Wartezeit für das Referendariat nicht länger als ein Jahr dauert“, sagte Goll. Morgen will der Minister die angehenden Juristen wieder treffen.

Die Jurastudenten, allesamt kurz vor dem Examen, waren nicht zufrieden. Kein Wunder. Verteidigen sie doch Vorzüge, die kaum einem Studierenden in der Republik zuteil werden. Beinahe alle Studiengänge enden, trotz Zertifikats, mit der mehr oder weniger vagen Aussicht auf einen Job. Geld gibt's, erst mal, nicht. In der Regel benötigen Absolventen eineinhalb Jahre, ehe sie eine Anstellung finden. Anders bei den Studis, die in die Juristerei, das Lehramt oder die Ärzteschaft wollen. Sie erhalten gleich nach dem ersten Staatsexamen ein zweijähriges Referendariat, das auch bezahlt ist.

In Baden-Württemberg gilt diese Regel nicht mehr. Das Bundesland im Südwesten der Republik hat die Stellenzahl für Juristen mit einem ersten Staatsexamen eingefroren. Zweimal im Jahr werden nun nur noch 580 angehende JuristInnen eingestellt und mit knapp 2.000 Mark brutto pro Monat besoldet. „Für die Zahl der Bewerber reichen unsere Stellen nicht aus“, begründet Jusitzpressesprecher Sonntag. Die Justiz spart.

Die mißliche Situation ist die Ironie einer gelungenen Studienreform. Es gibt so viele Bewerber, weil sich durch den sogenannten Freischuß die Studienzeiten verkürzt haben. Jetzt drängen mehr Kandidaten auf den Arbeitsmarkt für Juristen, als das Justizministerium bezahlen kann. Im April 1998 werden es rund 1.500 sein – bei 580 angebotenen Plätzen.

Den Freischuß hat 1991 die bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner erfunden, die selbst nur sechs Semester bis zum Examen brauchte. Wer bis zum achten Semester alle rechtswissenschaftlichen Scheine parat hat, kann einen Freischuß wagen.

Lohn für den Freischuß: Der Gang zum Sozialamt

Das heißt: Man kann durchfallen, ohne daß der Fehlversuch gewertet würde. Durchfaller treten einfach noch mal an. Statt üblicherweise über zehn Semester halten sich JurastudentInnen inzwischen nur noch knappe acht Semester an der Uni auf. Der Erfolg hat auch andere Bundesländer dazu gebracht, den Freischuß einzuführen. Nun soll das simple, aber wirksame Mittel zur Studienzeitverkürzung auf andere Fächer ausgedehnt werden. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) etwa hat den Freischuß als Reformelement für das Medizinstudium vorgeschlagen. Sein Kabinettskollege, Bildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU), hat das Instrument unter dem Namen Freiversuch in seinen Entwurf für das neue Hochschulrahmengesetz geschrieben.

Während man allenthalben die gefahrlose Schnellprüfung einführen will, rudert der baden-württembergische Justizminister zurück: Der Freischuß wird eingeschränkt. Ministerpräsident Erwin Teufels Kabinett hat das vor Weihnachten beschlossen. Danach wird, wer zum Zwecke der Examensverbesserung nach dem Freischuß ein zweites Mal zur Prüfung antritt, künftig mit rund 500 Mark zur Kasse gebeten.

Die angehenden Juristen sehen sich geradezu übervorteilt. „Jeder andere kann seine Ausbildung beenden“, kritisiert die Heidelberger Jurastudentin Alexandra Schluck, „bei uns aber ist erst mal Schluß.“ Die Situation ist in der Tat bitter. Die jungen RechtswissenschaftlerInnen eilen immer schneller durchs Studium. Und ihr Justizminister belohnt die Freischützen damit, daß sie vor dem Gang ins Referendariat zunächst einmal beim Sozialamt vorstellig werden müssen. Die Initiative „Juristen in der Warteschleife“ geht davon aus, daß in zwei Jahren 2.000 BewerberInnen vergeblich nach Referendariatsplätzen anstehen.

Die neue Lage hat die JuristInnen zu ungewöhnlichen Aktionen angetrieben. Zum erstenmal nach 18 Jahren gingen wieder JurastudentInnen auf die Straße. Bei der Gelegenheit boten sie ihrem Justizminister an, sie würden freiwillig auf ein Drittel ihres Gehalts verzichten – wenn denn nur alle Absolventen des erste Staatsexamens eine Stelle finden. Der Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz, Josef Lange, denkt weniger freigiebig über den schwäbischen Rollback beim Freischuß. „Baden- Württemberg konterkariert damit alle Bemühungen, die realen Studienzeiten zu verkürzen“, sagte Lange. Das Motiv scheint dem Generalsekretär klar: „Die wollen das Eintreten der Juristen auf den Arbeitsmarkt hinauszögern.“ Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen