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Verschobene Sachlichkeit

■ „For Example: Die Welt ist schön (final draft)“: Fotografien von Christopher Williams im Kunstverein

Mit schöner Regelmäßigkeit präsentiert der Hamburger Kunstverein irritierend unverständliche Ausstellungen. Diesmal ist es eine klar gehängte Schau von Fotografien: Architektur und Modebilder, Reportagen aus der Arbeitswelt und vom Sportplatz, Dokumentation von Industrieprodukten oder toten Käfern. Mit diesen unterschiedlichen Fotografien aus aller Welt erweist der kalifornische Künstler Christopher Williams den berühmten Fotografen der deutschen Sachlichkeit der zwanziger Jahre seine kritische Reverenz. Sein Ausstellungstitel: „For Example: Die Welt ist schön (final draft)“bezieht sich direkt auf das 1928 erschienene Fotobuch von Albert Renger-Patzsch.

Doch siebzig Jahre später ist eine dokumentarische Aufnahme der Welt nicht mehr möglich. So ist schon der deutsch-englische Titel eine komplexe Reflexion: Ein „Beispiel“als „endgültiger Entwurf“entzieht sich eben genau der „finalen“Festlegung, die ein Foto als Realitätsbeweis einst schien. Und so sucht Christopher Williams nach den Bildern zwischen und hinter den üblichen Bildern und Bildgenres. Dabei versteht er sich als Konzeptkünstler: oft gibt er nur als Regisseur Anweisungen an andere Fachfotografen oder bildet gar historische Fotos wieder ab.

Da ist der „Schneewittchen-sarg“, das Design-Kultobjekt der fünfziger Jahre, im Zeitstil, aber erstmals von hinten abgebildet, oder Hochhäuser aus dem kolonialen Afrika der sechziger Jahre werden 30 Jahre später wie international-aktuelle Musterbauten präsentiert. Hilfe um die feinen Differenzen zu erkennen, geben dabei die extrem präzisen Bildbeschriftungen.

Mit den Fotos jener unentschiedenen, „falschen“Momente vor oder nach dem sonst erstrebten erstklassigen Bild öffnet Williams einen Raum von Möglichkeiten, der zunehmend von standardtisierten Blickklischees zugestellt wird. Diese verschobene Fotografie hat etwas von einer eher filmischen Sichtweise, deren Stills den „richtigen „ Moment verpaßt haben – und so kommt auch kein Kritiker ohne den Verweis auf Godard oder Chris Marker aus. Doch die hier in den technischen Medien vorgeführte Frage nach dem rechten Augenblick ist so alt wie die Kunst: schließlich muß auch ein Deckengemälde oder eine Marmorplastik ein Geschehen in einer bestimmten Geste einfrieren. Doch solche Überlegungen sind fast zu einem Geheimwissen der Kunstbranche geworden: Die historischen Diskussionen darüber scheinen trotz ihrer besseren Lesbarkeit überholt, und die Diskurse unserer Tage sind in ihrer Metasprache leider oft weitgehend unverständlich.

Mit der Übernahme dieser Wanderausstellung bewegt sich der Hamburger Kunstverein auf dem theoretischen Niveau der letzten documenta. Doch während der Metadiskurs der Bilder dort auf einer Massenausstellung unangemessen und zum Scheitern verurteilt war, ist er in einem Kunstverein bestens aufgehoben. „Man muß die konzeptuelle Disziplin eines Hauses auch gegen den Konformitätssdruck aufrechterhalten“, wie es Stephan Schmidt-Wulffen ausdrückt. Und eine klärende Versicherung dessen, was die Bilderflut um uns ausmacht, ist heute wichtiger denn je.

Hajo Schiff

Kunstverein, Klosterwall, noch bis 25. Januar

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