: Mit höheren Löhnen gegen die Deflation
■ Die Wirtschaft wächst auch 1998 kaum, und 4,5 Millionen Menschen werden arbeitslos sein, prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Die Löhne müssen um vier Prozent steigen, um di
Berlin (rtr/AP/taz) – Weder die Konjunktur noch der Arbeitsmarkt werden sich 1998 erholen. Die Jahresprognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist düster. Am schleppenden Wirtschaftswachstum wird demzufolge auch der andauernde Exportboom nichts ändern, da die Nachfrage im Inland weiterhin schwach bleibt. Denn den Arbeitnehmern bleibt aufgrund sinkender Reallöhne zuwenig Geld im Portemonnaie, um konjunkturtreibend einzukaufen.
Das Wachstum wird laut DIW in diesem Jahr 2,5 Prozent betragen, nachdem sie für das vergangene Jahr 2,2 Prozent ausgerechnet haben. Bis Ende 1999 sei trotz der leichten Belebung keine Wende auf dem Arbeitsmarkt in Sicht, prognostizierte das DIW. Die Zahl der Erwerbslosen werde sich im Durchschnitt um etwa 125.000 auf 4,5 Millionen erhöhen. Jeder fünfte Ostdeutsche wird ohne Stelle sein und die Arbeitslosenquote im Osten auf 19,9 Prozent zusteuern. Damit wäre sie doppelt so hoch wie im Westen. Dort werden laut DIW 9,8 Prozent ohne Arbeit sein. Während im Westen etwa 20.000 neue Stellen entstünden, fielen im Osten noch einmal 145.000 weg. In ganz Deutschland wachse daher die Quote von jetzt 11,4 auf 11,8 Prozent an. Das DIW ist mit seiner Prognose damit deutlich pessimistischer als die Bundesregierung und die konservativen Wirtschaftsinstitute.
Ohne deutlich höhere Lohnabschlüsse wird die Konjunktur daher nicht wirklich in Fahrt kommen. DIW-Präsident Lutz Hoffmann sagte gestern, daß sinkende Lohnstückkosten, niedrige Löhne und der Wertverlust der Mark die Gefahr einer Deflation heraufbeschwörten. Der Konjunkturexperte des Instituts, Heiner Flassbeck, bezeichnete Lohnabschlüsse zwischen drei und vier Prozent in Westdeutschland als verantwortbar. Das vom DIW erwartete Wachstum von 2,5 Prozent für dieses Jahr sei zu gering, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Denn nur um weniger als ein Prozent werde der private Verbrauch 1998 zunehmen. Das birgt laut Flassbeck die Gefahr einer deflationären Spirale mit sinkenden Umsätzen und weiter steigender Arbeitslosigkeit. Bekämen die noch Erwerbstätigen jedoch höhere Löhne, würden sie auch die Inlandsnachfrage ankurbeln.
Die Lohnpolitik müsse künftig an der stetig steigenden Produktivität und nicht ausschließlich an der Inflationsrate ausgerichtet werden. In Ostdeutschland jedoch hinkt die Produktivität den Löhnen hinterher. Dort sollten sich die Gewerkschaften daher „eher nach unten orientieren oder wenigstens stillhalten“, sagte Flassbeck. Dies gelte auch für den Tarifkonflikt in der Stahlbranche.
Hoffmann machte die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung für das Deflationsrisiko verantwortlich. Sie setze auf Kosten der europäischen Partner zu einseitig auf niedrige Lohnstückkosten und den Export. In den vergangenen zwei Jahren seien die Lohnstückkosten um 3,5 Prozent gesunken, die Mark habe um zehn Prozent an Wert verloren.
Unter diesen Bedingungen sei es kein Wunder, daß der Export boome. Deutschland exportiere damit aber seine wirtschaftlichen Probleme, was fatal für den Start der Europäischen Währungsunion (EWU) im nächsten Jahr sei. In ihr müßten alle Partner die gleichen Wettbewerbsbedingungen haben und die Lohnstückkosten harmonisiert sein. In Deutschland seien sie aber unverhältnismäßig rückläufig. Trotz maßvoller Lohnpolitik rolle die Rationalisierungswelle weiter.
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