Verkrustete, veraltete Moralvorstellungen

■ betr.: „Leichtathletik-Verband ge rät unter Druck“, taz vom 10.12. 97

Es ist schon beängstigend festzustellen, wie die „Politische Korrektheit“ auf allen gesellschaftlichen Ebenen – auch im Sport – an Boden gewinnt. Da erfindet ein Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer eine Deutschland- Tour, um die Friedensfahrt zu kippen wg. DDR-Nostalgie. Und der Berliner Provinzverband stößt sich an den Wörtern schwul und Vorspiel. Na hoffentlich bestreitet bei Hertha BSC im Olympiastadion nicht mal eine Damenmannschaft ein Vorspiel...

Dem Leichtathletik-Verband wäre ein Hinweis zu geben:

Die Berliner Sportbewegung lebte, wuchs, gedieh durch ihre Vielfalt. Und: Die Aufnahme ist eine Sache, die Arbeit eine zweite, der Erfolg eine dritte. Also: Warum mit administrativen Mitteln arbeiten und Spekulationen freien Lauf lassen?

Sollen doch die Leute arbeiten; nach einiger Zeit wird man sehen, ob wieder weitere Mewnschen für den Sport gewonnen werden konnten. Günter König,

Bezirksbürgermeister a.D.

betr.: dito und „Schwulen-Sportverein stellt neuen Aufnahmeantrag“, taz vom 29.12. 97

[...] Besonders im Westteil der Stadt gibt es immer noch in allen Bereichen homophobe Funktionäre, Politiker und Staatsbedienstete, die immer noch nicht verstanden haben, in welcher Zeit und in welcher Stadt sie leben.

Berlin, mit dem größten Anteil an lesbischen und schwulen Bürgern überhaupt in Deutschland, ist das Schlußlicht für lesbisch- schwule Gleichberechtigung. Angeführt durch die Berliner Ausländerbehörde, die das Zusammenleben eines gleichgeschlechtlichen binationalen Paares schlichtweg als „gegen das öffentliche Interesse“ sieht und deshalb selbstherrlich, unterstützt vom Berliner Innensensat, Anweisungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur nicht umsetzt, sondern auch dagegen arbeitet und weiter geltendes Recht ad absurdum führt. Die Betroffenen werden mit haarsträubenden Begründungen abgewiesen und sogar abgeschoben.

Mit solchen Beispielen im Rücken ist es natürlich nicht verwunderlich, wenn das Präsidium des Berliner Leichtathletik-Verbandes sich in seiner homophoben Gedankenwelt bestätigt sieht und weiterhin in die gleiche Kerbe haut. Vielfältige Argumente für die Aufnahme von „Vorspiel Schwuler Sportverein e.V.“ werden schlichtweg einer verkrusteten, veralteten Moralvorstellung geopfert.

An dem über achtjährigen Kampf von „Vorspiel SSV“, in den BLV aufgenommen zu werden, wird einem immer wieder bewußt, wie wichtig gerade in der „Schwulenhauptstadt“ eine permanente Aufklärungsarbeit vonnöten ist. Da hilft es leider wenig, das sich die Berliner Polizei einen „Schwulenbeauftragten“ leistet und der Senat ein „Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ unterhält, solange die verantwortlichen Politiker und (Sport-)Funktionäre reaktionärer und homophober sind, als zum Beispiel mancher Ihrer Kollegen und Kolleginnen in Bayern. Jürgen Müller, stellv. Landes-

vorsitzender der Berliner

Schwusos, Landesarbeitsge-

meinschaft der Berliner SPD