: Die Fremdheit des Nahen
■ Eine Werkschau des Schweizer Dokumentarfilmers Felix Karrer (15.45 Uhr, 3sat)
Seit über 20 Jahren dreht Felix Karrer Dokumentarfilme für das Schweizer Fernsehen. 14 Karrer- Stücke werden nun in einer Werkschau auf 3sat gezeigt. Immer geht es dem Regisseur um einen Alltag, der so gern verdrängt wird: Karrer berichtet von den Strichern, Fixern und Flüchtlingen, und obwohl er in jedem Bericht eine andere Perspektive einzunehmen versucht und immer neue Darstellungsformen ausprobiert, bleibt die Nähe zu seinem Gegenstand das verbindende Merkmal seiner Filme. Karrer will die Wirklichkeit nicht inszenieren, er will sie aufnehmen.
So benutzte er bei seiner Reportage über den Züricher Drogenbahnhof Letten nur die Digital-Videokamera und schuf damit ein Dokument, in dem es kaum noch Konstruktion gibt. Die Drehorte ergeben sich aus der Situation heraus, die Diskussionen mit den Junkies sind zufällig. Von Alfred Hitchcock stammt der Satz: „Beim Spielfilm ist der Regisseur Gott, beim Dokumentarfilm ist Gott der Regisseur.“ Felix Karrer versucht die Macht des Mediums auszuschalten, indem er sich dem Regisseur Gott völlig ausliefert. Diese radikale Annäherung entfernt ihn aber paradoxerweise von den Geschehnissen, denn Karrers Beiträge sind, indem sie die Verhältnisse vor Ort bruchlos darstellen, schärfste Kritik. Besonders deutlich wird dies in „Durch fremdes Land – ein Reisebericht“ von 1990 (Sendetermin: 13.2.)
Als Anfang der neunziger Jahre der rechte Mob in Deutschland loszuschlagen begann, interessierte sich Karrer für die Meinung der Schweizer zum Thema Fremdenfeindlichkeit. Auch diese Begegnungen und Gespräche waren nicht vorbereitet. Die Leute von nebenan durften einfach sagen, was sie gerade dachten, ohne darüber nachgedacht zu haben, und daher sagten sie vor allem eines, nämlich „Ausländer raus!“. Je länger sich Karrer mit seinen Landsleuten beschäftigte, desto fremder wurde ihm die Heimat, von der die von ihm Befragten so schwärmten.
Dagegen ist in seinem Film über „Martha – Die Perle“ (1995; Sendetermin: 16.1.) das Fremde – die „illegale Ausländerin“, ihr Leben als Putzfrau in Zürich, ihre Flucht vor den Behörden, die ersehnte Heimreise in die ungewisse Zukunft – dem Zuschauer ganz nah. Carsten Otte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen