: „Diese Hektik ist unangemessen“
■ Günter Verheugen, außenpolitischer Koordinator der SPD, über die Abwehrhaltung der Bundesregierung und die Option eines EU-Asylrechts
taz: Gerade mal knapp tausend Flüchtlinge sind in Italien angekommen. Da fragt man sich doch, warum die Panik so groß ist?
Günter Verheugen: Ich finde diese Hektik auch unangemessen.
Aber Ihr Parteifreund Glogowski, der niedersächsische Innenminister, haut doch in die gleiche Kerbe. Er hat gefordert, das Schengener Abkommen auszusetzen.
Der ist halt ein Landesinnenminister. Die Forderung hat doch keiner sonst in der SPD übernommen.
Liegt das Problem überhaupt beim Schengener Abkommen?
Natürlich nicht. Die Gegenden, in denen die Kurden in der Türkei leben, sind ja Elendsgebiete. Was wir Europäer tun können, ist, der Türkei zu helfen, dieses Entwicklungsgefälle abzubauen. Das wäre sehr viel sinnvoller, als das Land mit Waffen auszustatten.
Viele Politiker fordern jetzt ein gemeinsames EU-Asylrecht. Die SPD hatte seinerzeit das rigide deutsche Asylrecht mitgetragen. Sind Sie jetzt zu einer weicheren Lösung bereit?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine europäische Asylregelung deckungsgleich wäre mit der deutschen...
...sondern sie muß weicher sein?
Da will ich mich im Augenblick nicht festlegen. In Deutschland geht man ja immer noch von einem Individualrecht auf Asyl aus. Das haben andere europäische Länder nicht, dort ist das eher eine institutionelle Garantie. Eine Einigung wird da sehr, sehr schwer werden.
Was müßte die Bundesregierung tun, um sich angemessen an einer europäischen Lösung zu beteiligen?
Sie sollte mal einen Vorschlag machen, wie ein europäisches Asylrecht aussehen kann! Aber nur eine verschwindend geringe Zahl von Antragstellern erhält in Deutschland überhaupt Asyl, die Anerkennungsquoten sind inzwischen extrem niedrig. Alle anderen sind im Grunde Auswanderer – aus politisch, moralisch und ethisch vertretbaren Gründen. Weil es keine Möglichkeiten für legale Zuwanderung gibt, in Deutschland etwa, werden sie bei ihrer Auswanderung zu Methoden gezwungen, die nach Auffassung vieler EU-Staaten illegal sind.
Sollte die Bundesregierung ein Zuwanderungsrecht beschließen?
Ich fände das eine sehr vernünftige Lösung. In diesem Zusammenhang muß man dann auch über das Staatsangehörigkeitsrecht reden. Da gibt Deutschland ein extrem schlechtes Bild ab. Wir haben hier einen immer größeren Bevölkerungsanteil, der keine staatsbürgerlichen Rechte hat. Die anderen europäischen Länder finden die deutsche Praxis nicht überzeugend. Interview: Patrik Schwarz
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