piwik no script img

Selbstschausteller

■ André Eisermanns „Die Show“im Tivoli

„Menschen, Tiere, Sensationen“, ruft André Eisermann wie ein Jahrmarktschreier. Doch statt Schaubuden, Schwertschluckern oder Schlangenmenschen hat der Schauspieler nur eins zu bieten: sich selbst. Und das ist nicht gerade sensationell. Was der Sprößling einer Schaustellerfamilie seit Donnerstag auf der Bühne in Schmidts Tivoli präsentiert, ist nicht viel mehr als ein fauler Budenzauber.

Der Mäusefresser, das legendäre Buschweib, der stärkste Mann der Welt und das Elastikwunder – keine der angekündigten Sensationen aus Klein-Andrés Kindheit tritt auf. Was Eisermann enthüllt, ist eine große Mogelpackung, und in der steckt: Eisermann pur. Im Alleingang versucht er, die Magie vergangener Rummel-Tage heraufzubeschwören. Doch der Funke will nicht überspringen, die Schaulust, die Vergnügungssucht kommen viel zu kurz. Es fehlt an Humor, Leichtigkeit und einem Schuß Selbstironie. Wenn er mit Pathos und Sendungsbewußtsein die Geschichte der Schausteller von der Antike bis heute erzählt, fühlen wir uns eher wie im Schulfunk als in einer Live-Show.

Unterstützt von der solide spielenden fünfköpfigen Band unter der musikalischen Leitung von Jakob Vinje, singt Eisermann vom Geheimnis des Glücks: Sei immer zufrieden mit dem, was du hast. Geld macht nicht froh, und das ganze Leben ist ein Zirkus. Irgendwie erinnert das alles an Udo Jürgens. Eiser-mann und Co-Texter Sascha Merlin scheinen im Chanson-Schatzkästchen gewühlt zu haben.

Zum Höhepunkt der Show gibt es nachgespielte Kostproben aus Eisermanns Erfolgsfilm Kaspar Hauser. Hier zeigt der Schauspieler sein wirkliches Können. Die sonst in Eitelkeit gehüllte naive Pose gewinnt in diesen Momenten eine poetische Kraft, die wirklich berührt. Ähnliche Wirkung haben nur alte Schwarzweißdias, die Eisermann präsentiert – und endlich schweigt. Harry Wilton mit der Maus im Mund, Uropa Max Schmidt in Starker-Mann-Pose, Uroma Dorit Paaselli mit verrenkten Gliedern. Die Bilder verströmen mehr Magie als alle großen Worte. Das letzte Dia zeigt Eisermann wieder selbst: Lachend steht er als Kind an der offenen Tür eines Wohnwagens. Ende einer gigantischen Personality-Show.

Karin Liebe

bis 17. Januar, (nicht 11./12.), 20 Uhr, Tivoli

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen