: Türkische Polizei jagt Flüchtlinge
■ Bei Großrazzien werden fast 1.400 Menschen verhaftet. Ein Flüchtling stürzt sich aus dem dritten Stock eines Hauses zu Tode. Kinkel fordert eine gemeinsame Lösung der EU-Staaten
Istanbul (taz) – Bei den Razzien der türkischen Polizei auf Flüchtlinge, die versuchen nach Europa zu gelangen, ist das erste Todesopfer zu beklagen. In dem Istanbuler Stadtteil Kumpapi starb am Wochenende ein 30- bis 35jähriger Mann, als er versuchte der Festnahme zu entgehen, indem er aus dem dritten Stock eines Gebäudes auf die Straße sprang. Die Identität des Toten, der auf dem Weg zum Krankenhaus starb, konnte bis gestern nicht festgestellt werden. Nach Angaben der halbamtlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ayansi sollen am Wochende in der Türkei insgesamt fast 1.400 Flüchtlinge festgenommen worden sein.
Schwerpunkt der Razzien war Istanbul. Die Tageszeitung Hürriyet berichtet in ihrer gestrigen Ausgabe, Personen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung aus Pakistan, Bangladesch, dem Irak, Rumänien, Nigeria und Ghana seien festgenommen worden. Laut dem staatlichen Fernsehsender TRT sind 210 der Festgenommenen Kurden aus dem Irak, 424 weitere hätten keine Personaldokumente vorweisen können.
Der Polizeipräsident von Istanbul, Hasan Özdemir, leitete persönlich die Razzien. Der Polizeichef beklagte die Rechtssituation: „Wir bringen Personen wegen Verletzung des Paßgesetzes vor Gericht. Dort werden sie dann freigelassen“, sagte er.
Die Türkei ist für viele der Flüchtlinge häufig Transitland auf dem Weg nach Europa. Obwohl die Flüchtlinge illegal in der Türkei sind, können sie sich vielfach über mehrere Monate, wenn nicht Jahre unentdeckt aufhalten. Von den europäischen Staaten als Hilfspolizisten verpflichtet, versuchen die türkischen Behörden diesem Zustand ein Ende zu setzen. Ein großer Teil der Flüchtlinge sind Kurden aus dem Nordirak. Gegen türkische Staatsangehörige – auch Kurden, die versuchen mit Schlepperorganisationen nach Europa zu reisen – kann die Polizei erst beim Versuch des illegalen Grenzübertritts vorgehen. Doch auch nachdem sich türkische Politiker in den europäischen Chor zur „Verhinderung des Flüchtlingsstroms“ eingereiht haben, gestaltet sich die Bekämpfung der „Illegalen“ schwer.
„Wir können die Staatsangehörigkeit der Flüchtlinge, die ihre Papiere vernichtet haben, erst gar nicht feststellen“, klagt Istanbuls Polizeichef Özdemir. Und selbst wenn die Staatsangehörigkeit eines Flüchtlings festgestellt wird, fehlt das nötige Geld für Abschiebungen. Gängige Praxis ist daher, daß die Flüchtlinge nach einer bestimmten Zeit wieder freigelassen werden. Auch in diesem Punkt dient Europa als Vorbild. Der türkische Innenminister Murat Basesgioglu erklärte am Samstag, es gebe Überlegungen, für festgenommene Flüchtlinge Lager zu errichten. Zunächst denke man an eine Lagerkapazität für 3.000 Personen.
Unterdessen sprach sich Bundesaußenminister Klaus Kinkel für eine europäische Lösung der Flüchtlingsproblematik aus. Gegenüber der privaten Berliner Radiosender Hundert,6 warnte er gestern vor überzogener Kritik an Italien. Das Land habe sehr lange, schwer zu kontrollierende Seegrenzen. Jetzt gelte es eine gemeinsame Lösung der EU-Staaten zu finden. Vor allem müsse auf die Türkei eingewirkt werden, ihre Kurdenpolitik zu ändern. Ömer Erzeren
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