piwik no script img

Der ethische Konflikt fängt nicht erst beim Abort an

■ Die „mißlungene Abtreibung“ in Oldenburg hat gezeigt, wie wenig verantwortungsvoll Ärzte und betroffene Frauen häufig mit Angebot und Konsequenzen pränataler Diagnostik umgehen

Sommer 1997 in der Oldenburger Frauenklinik: Einen Tag dauerte die Geburt, sie wurde in der 25. Schwangerschaftswoche mit Hilfe wehentreibender Mittel eingeleitet. Dann kam das Bündel zur Welt, 32 Zentimeter groß und knapp 700 Gramm schwer. Das Klinikpersonal teilte den Eltern nach dem Abbruch mit: „Das Kind ist tot.“

Am nächsten Morgen erfuhr die Frau, daß der Junge überlebt hat. Zusätzlich zum Down-Syndrom wurde er durch die fehlende medizinische Fürsorge nach der Geburt schwer geschädigt. Die Ärzte hatten das Kind nach der Geburt in eine Decke gewickelt liegenlassen und gehofft, daß es aufhören würde zu atmen. Doch nach zehn Stunden schnappte der Junge immer noch nach Luft. Erst jetzt fingen die Ärzte an, ihn mediznisch zu versorgen. Für die Präsidentin der Bremer Ärztekammer Ursula Auerswald ein Fall von „mißlungener Abtreibung“. Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe ein Grund für eine Strafanzeige gegen die Ärzte wegen unterlassener Hilfeleistung gegenüber dem Neugeborenen. Für die betroffene Frau eine Tragödie, die sie in eine tiefe Lebenskrise stürzte und für die sie jetzt von den Ärzten Schadenersatz fordert.

Das Oldenburger Drama hat eine unspektakuläre Vorgeschichte, die sich wenig von den Erfahrungen anderer schwangerer Frauen unterscheidet. „Ohne die Folgen zu thematisieren, wird die pränatale Diagnostik von vielen Medizinern als medizinische Routine offeriert“, kritisiert Margaretha Kurmann von „Cara“, einer kritischen Beratungsstelle in Bremen, den Umgang mit einer Technologie, die in den letzten 20 Jahren immer mehr Raum in der Schwangerschaft eingenommen hat. Die Zahl der Fruchtwasseruntersuchungen oder Chorionzottenbiopsien – mit denen gezielt nach genetischen Besonderheiten des Fötusses, zum Beispiel nach dem Down-Syndrom gesucht wird – ist von 42.745 (1991) inzwischen auf 61.794 gestiegen. Auch der Triple- Test, ein einfacher Bluttest, der anzeigt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß die Frau ein Kind mit Down-Syndrom gebärt, gehört inzwischen zur Routine in vielen gynäkologischen Praxen. Oft wird er angewandt, ohne daß die schwangeren Frauen vorher über das Ziel des Tests aufgeklärt worden sind.

Im Oldenburger Fall hatte ein niedergelassener Frauenarzt beim Routine-Ultraschall eine Auffälligkeit beim Fötus in der 20. Woche entdeckt. Dieser Ultraschall wird in den Mutterschaftsrichtlinien empfohlen. Er dient der „Aufdeckung von Anomalien in allen erreichbaren Organsystemen und dem Ausschluß von Mißbildungen“ (Deutsches Ärzteblatt). Doch die Feststellung von Normabweichungen beim Fötus hat in der überwiegenden Zahl der Fälle keinerlei therapeutische Konsequenz. Nur in seltenen Fällen stehen pränatale Therapien zur Verfügung. „Darüber werden die schwangeren Frauen von den Ärzten oft im Unklaren gelassen“, so die Erfahrung der „Cara“-Mitarbeiterin Kurmann. Gleichzeitig fragen schwangere Frauen aber auch sehr wenig nach. „Meine Mandantin hat gemacht, was der Arzt ihr geraten hat“, so die Rechtsanwältin, die das Elternpaar im Oldenburger Rechtsstreit vertritt. Die Frau hatte ihren Verdacht bei einem Ultraschallspezialisten abklären lassen. Der wiederum ordnete weitere Untersuchungen an. Sie geriet in die medizinische Mühle. Die wochenlange Unsicherheit zehrte an ihren Nerven. In der 25. Schwangerschaftswoche dann der Befund: Down-Syndrom. Therapien konnten keine angeboten werden. Der spätere Abbruch erschien ihr die Erlösung aus dem Gefühlschaos. Am gleichen Tag noch wurde die Geburt eingeleitet.

„Unter dem Zwang eines medizinischen Befundes ist kaum mehr eine stimmige Entscheidung zu treffen“, so Ebba Kirchner-Asbrock vom bundesweiten „Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik“. Deshalb die Forderung, die schwangere Frau bereits vor der Ultraschall- oder Fruchtwasseruntersuchung ausführlich aufzuklären und ihr Möglichkeiten aufzuzeigen, sich unabhängig von den Anbietern pränataler Diagnostik beraten zu lassen. Eine Forderung, die angesichts des jüngsten Gerichtsurteils zur Arzthaftung noch wichtiger geworden ist, denn, so befürchtet Kirchner-Asbrock: „Ist der Mediziner überhaupt noch offen genug für eine Beratung, die verschiedene auch nichtmedizinische Handlungsoptionen aufzeigt, oder sitzt bei ihm bei jedem Gespräch die Angst vor einer Schadenersatzklage im Nacken?“

Schon bislang kamen ethische und psychische Konflikte im Sprechzimmer des Gynäkologen wenig zur Sprache. Eine vom Bremer Senat eingerichtete „Beratende Kommission Humangenetik“, der neben MedizinerInnen auch Juristen und Vertreterinnen von Frauen- und Behindertengruppen angehören, fordert deshalb „Strukturen und Prozeduren, in denen der ethisch kontroverse Charakter dieser Diagnostik sichtbar bleibt“.

Der ethische Konflikt fängt dabei nicht erst beim Abbruch der Schwangerschaft an, sondern bereits bei dem medizinischen Angebot vorgeburtlicher Diagnostik. Die verspricht gesunde Kinder und kann in vielen Fällen therapeutisch doch nicht helfen. Die Auslese fand bislang im Verborgenen des Mutterleibes statt. Der Oldenburger Fall hat dies öffentlich gemacht. Das bundesweite „Netzwerk Pränataldiagnostik“ fordert die MedizinerInnen auf, verantwortungsvoller als bisher mit dem Angebot und den Konsequenzen pränataler Diagnostik umzugehen. Dies bedeute auch, sich selbst zeitliche Grenzen für einen Abbruch aufzuerlegen. „Aber auch die betroffenen Frauen müssen sich bewußt sein“, so Kurmann von „Cara“, welche Rolle sie im Zusammenhang mit pränataler Diagnostik spielen und wo ihre eigene Veranwortung liegt.“ Eva Schindele

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen