: Herz im Kühlschrank
■ „Les Ballets C. de la B.s“Gemütsstudie bei den independancedays auf Kampnagel
Neues Spiel, neues Glück: Akrobatik mit Gartenstuhl, ein Taschenspielertrick mit Seil und aus einem rostigen Kühlschrank fiebt ein leuchtend rotes Plastikherz. Eigentlich hatte der Belgier Koen Augustijenen ja Fußballer werden wollen oder Journalist. Eine Audition bei einem bekannten belgischen Choreographen führte ihn dann aus der Uni geradewegs zum Tanztheater. Dabei hatte er mit der Teilname doch nur einer Freundin imponieren wollen. So spielt das Leben.
Nun tourt Augustijenen mit seinem Stück To crush time durch Europa. Les Ballets C. de la B. – die Compagnie, mit der er arbeitet – ist Markenzeichen für das, was gerne authentisches Theater genannt wird. Jene Momente auf der Bühne, in denen sich aktuelle Befindlichkeiten in abgebrochenen Tanzsequenzen junger Menschen spiegeln und deren trotzig zur Schau gestellte Scheiß-egal-Haltung im durchschimmernden Tauziehen heftiger Gefühle tragikomische Züge annimmt. Ihr Zuhause ist ein Schrottplatz. Wie streunende Katzen ziehen die Mädchen umher, verscheuchen die Männer mit Parodien auf deren Macho-Posen. Pömps und Dessous bewahren sie im Gefrierfach auf, gleich neben besagtem Gummiherz. Zärtliche Annäherungen gelingen nur zögernd und mit geballten Fäusten.
To crush time (Zeit totschlagen) schöpft aus den Eigenheiten und Erfahrungen der Darsteller, ohne biographisch zu sein. Wenn Okano heute ihre Ballett-Pirouetten zwischen den Müllbeuteln dreht, dann kommt das einem wilden Aufbegehren gleich. Eli Van de Vodel zupft eine orientalische Waise, während Sassan Saghar Yaghmais sich in einem innerlich rollenden Tanz seiner iranischen Herkunft erinnert.
Augustijenen selbst ist ein liebenswerter Freak, ein Clown, der diesem desperaten Grüppchen seinen Geist einhaucht. Er zählt seit langem zu Alain Platels, Chef von Les Ballets C. de la B., bemerkenswertesten Darstellern. Seiner eigenen Inszenierung fehlen dagegen noch die Feinheiten und jene beiläufige Selbstverständlichkeit zwischen Anmache, spontanen Tänzchen und Luftlöcherstarren, die dieser verzweifelt-lebenshungrigen Milieu- und Gemütsstudie mehr Seele und Substanz geben würden. Marga Wolff
noch heute und morgen, 19 Uhr, Kampnagel k1
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