piwik no script img

Vukovar kehrt nach Kroatien heim

Ab heute gehören die 1991 von Serben eroberten Gebiete Ostslawoniens wieder zu Kroatien. Viele kroatische Flüchtlinge hoffen auf Rückkehr in ihre Heimatorte  ■ Aus Vukovar Erich Rathfelder

Noch vor wenigen Monaten wäre das unmöglich gewesen: in der kroatischen Stadt Osijek einfach ins Auto zu steigen und über die ehemalige Frontlinie in das 1991 von Serben eroberte Vukovar zu fahren. Selbst Journalisten brauchten bis vor kurzem noch eine besondere Erlaubnis, um in die letzten serbisch gehaltenen Gebiete Ostslawoniens zu gelangen.

Jetzt geht alles ganz einfach. Der Kontrollpunkt gleich am Stadtrand Osijeks ist verschwunden. Nur die zerstörten Häuser am Wegesrand erinnern noch an den Krieg, der hier einmal getobt hat. Im nächsten Dorf zeigen kyrillische Schriftzeichen auf Ortstafeln an, daß hier die serbisch bewohnten Gebiete beginnen, die ehemals zur „Serbischen Republik Krajina“ gehörenden Landstriche Ostslawoniens. Bald werden zusätzlich lateinische Schriftzeichen angebracht. Denn heute endet das Mandat der Vereinten Nationen in diesem Gebiet, das einen rund 30 Kilometer breiten und 100 Kilometer langen Streifen am südöstlichen Zipfel Kroatiens bildet. Dann werden die ehemals von Serben eroberten Gebiete Ostslawoniens vollständig in den kroatischen Staat reintegriert.

Die Straßen Vukovars, die umsäumt sind von zerstörten Häusern, von verkohlten Balken und eingefallen Dächern, lassen erahnen, welche Aufgabe auf den neuen Bürgermeister Vladimir Stengl und auf den kroatischen Staat zukommen. Der zerstörte Wasserturm, die zerborstenen Einfamilienhäuser in den Vorstädten und die Ruinen der einstmals barocken Häuser der Altstadt geben heute noch einen Eindruck von der Härte des serbischen Angriffs, der diese Stadt im September und Oktober 1991 in Trümmer legte.

Nach der „Befreiung“, wie die offizielle serbische Sprachregelung lautet, zeigten die Sieger keinen Willen, die Stadt wirklich in Besitz zu nehmen. Selbst die Trümmer auf den Straßen wurden später von UN-Truppen weggeräumt. Um den Wiederaufbau einzuleiten rührte sich keine Siegerhand.

Nur die alteingesessenen Serben, die während des Angriffs zusammen mit den Kroaten, Ungarn oder Menschen anderer Nationen dieser Vielvölkerregion in den Kellern saßen, haben sich hier und dort in den Ruinen eingerichtet.

In den zentralen Bars in der Altstadt, „King“, „Queen“ und „Hollywood“, gaben noch bei Besuchen 1993 und 1994 wüste Typen, kaputte und ausgemusterte Kämpfer, Geschäftemacher und Schwarzmarkthändler den alkoholisierten Ton an. Heute sind diese Leute verschwunden. Sie haben sich abgesetzt. In Vukovar geblieben sind viele traumatisierte Menschen, mehr Frauen als Männer, und die 1995 hinzugekommenen Flüchtlinge aus der Krajina. Auch viele von jenen, die von Beginn an auf der Seite der serbischen Angreifer standen: die Bewohner des Dorfes Borovo oder des Industrievororts Borovo Selo, dem Ausgangspunkt des serbischen Angriffs.

So wie Stojanka F. Sie war Arbeiterin in der Schuhfabrik in Borovo, wo einstmals 22.000 Menschen jährlich 20 Millionen Paar Schuhe der Marke „Bata“ produzierten. Jetzt hängt sie in den leeren Fabrikhallen herum. Oder geht auf den Markt von Vukovar, um zu handeln. Durchgeschlagen hat sie sich all die Jahre mit Kleinhandel und Feldarbeit. „Da bekamen wir dann auch Naturalien.“ Die Kinder sind erwachsen und nach Belgrad gezogen. „Meine Tochter ist verheiratet, der Sohn studiert.“ Sie will in Vukovar bleiben. Das Häuschen in Borovo will sie jedoch nicht aufgeben. „Vielleicht wird ja bald wieder in der Fabrik gearbeitet.“

Der Bürgermeister muß die Erwartungen aller Seiten dämpfen. Vladimir Stengl, Sohn einer deutschstämmigen Traditionsfamilie aus Vukovar, hat selbst gerade ein Büro bezogen. Der 1991 in ein serbisches Konzentrationslager Verschleppte, der jetzt der kroatischen Regierungspartei HDZ angehört, möchte den alten Kern Vukovars wieder nach historischem Vorbild aufbauen. „Aber es fehlt an Geld, wir müssen schrittweise vorgehen und hoffen auf Investitionen.“ Kroatische Rückkehrer können wohl erst später in die Stadt kommen. Der Bürgermeister, der nur noch einen Stuhl in den Trümmern seines Hauses vorfand, wohnt in einem Hotel im Nachbarort Vinkovci.

Im Hauptquartier der UN-Verwaltung in Vukovar mit dem umständlichen Namen „UN Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium“ (UNTAES) herrscht Aufbruchstimmung. Am 12. November 1995 wurde im Abkommen von Erdut nach Verhandlungen mit den Vereinten Nationen festgelegt, daß mit internationaler Hilfe eine friedliche Reintegration des Gebietes in den kroatischen Staat erfolgen sollte. Die seit dem 15. Januar 1996 tätige UN-Administration sollte dafür sorgen, daß die rund 100.000 Serben im Land bleiben.

Viele Serben akzeptieren kroatische Pässe

Philip Arnold, der britische Pressesprecher, zieht Bilanz. „Wenn man den Ausgangspunkt betrachtet, wurde viel erreicht.“ Schritt für Schritt wurde die kroatische Verwaltung, die je zur Hälfte aus Serben und Kroaten bestehende Polizei aufgebaut. Im August letzten Jahres wurden bei Kommunalwahlen gemischte Parlamente gewählt. „Bei jedem Schritt drohten die Serben mit dem Auszug. Die meisten sind jedoch geblieben.“

Auch Miso Kovacevic. Der Besitzer eines Cafés im Dorf Sarvas hat wie die meisten Bewohner kroatische Kennzeichen an seinem Auto angebracht, einen kroatischen Paß erhalten, die kroatische Währung Kuna, die im Sommer letzten Jahres eingeführt wurde, akzeptiert. Für viele Serben der Region ist das nicht selbstverständlich. Sowohl die kroatische Flagge als auch die Währung werden als „Symbole der Ustascha“, des kroatischen Staates während des Zweiten Weltkriegs, angesehen. „Ich freue mich, daß endlich Frieden ist“, sagt Miso Kovacevic.

Mit dem neuen, endgültigen Schritt zur Reintegration werden aber auch die alten kroatischen Nachbarn in das Dorf zurückkehren. Wie soll das Zusammenleben aussehen? Sind Auseinandersetzungen zu erwarten? „Der Krieg hat eine Menge verändert. Die Kroaten können nicht vergessen, was passiert ist. Viele Serben aus dem Dorf sind schon nach Serbien gegangen“, sagt Miso Kovacevic.

Verlassen erscheinen die Dörfer in dieser flachen, fruchtbaren Landschaft, die Türen von Bars und Restaurants sind verrammelt. Nur hin und wieder gehen alte Leute die Straßen entlang. Immerhin lassen gepflügte Felder ahnen, daß manche Bauern bleiben wollen. Die alteingesessenen Serben in den Dörfern verfügen über Grundbesitz. Und wer will schon sein Haus und sein Land mit den guten Humusböden aufgeben?

In Beli Monastir, einem nahe der ungarischen Grenze gelegenen Städtchen, haben sich lange Schlangen vor einer Konsulatsstelle der Republik Jugoslawien gebildet. Die serbische Bevölkerung der Region holt sich hier mit ihren kroatischen Pässen Visa für Jugoslawien ab. Viele haben einen Zweitwohnsitz in der zu Jugoslawien gehörenden und benachbarten Region Wojwodina und schon Hausrat dorthin geschafft. Manche versuchen, dort ansässige Kroaten oder Ungarn zu finden, die ihr Haus mit dem ihren tauschen wollen. Auch Zoran P. versucht einen Wohnungstausch. „Vielleicht beißt ja jemand an. Mein Haus ist groß und gut gebaut. Ich verkaufe es für 30.000 Mark.“

Vor allem die serbischen Flüchtlinge aus der Krajina fürchten sich vor dem Auslaufen des UN-Mandats. Denn die meisten von ihnen sind in Häusern ehemals vertriebener Kroaten untergebracht. Wenn jetzt die kroatischen Besitzer zurückkommen, sind Zusammenstöße unausweichlich.

Pierre Peeters ist der neue Chef der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Vukovor, die die Administration der UN ablöst. „Wir haben hier mehr eine beratende Tätigkeit.“ Der kleingewachsene, ehemalige Kommandeur der belgischen UN-Truppen in der Region spielt die Bedeutung des Mandatswechsels herunter. „Es wird so weitergehen wie bisher.“ Die serbische Bevölkerung werde sich über kurz oder lang an die neuen Verhältnisse anpassen. Der kroatische Staat habe alle Garantien für die bürgerlichen Freiheiten der Serben gegeben. „Rückkehrer können nicht so einfach in ihr Haus. Die müssen erst eine komplizierte Prozedur durchlaufen. Erst muß dafür gesorgt werden, daß betroffenen Serben eine Ersatzwohnung erhalten.“

Davon wiederum möchte der Kroate Joseph P. nichts hören. In dem ehemals kroatischen Dorf Iladza im südöstlichsten Teil der Region hilft er seiner Tochter und ihrem Mann beim Wiederaufbau ihres Hauses. Als das Dorf im September 1991 von den serbischen Truppen angegriffen wurde, floh die Familie mit ihren Kindern zum Schwiegervater ins Nachbardorf, von dort aus weiter an die kroatische Küste, nach Zadar. „Was sollte ich alter Bauer in einem Hotel an der Küste tun?“ Für zwei Jahre ging er nach Deutschland, arbeitete dort schwarz. Tochter und Familie lebten inzwischen in der von Kroaten gehaltenen Stadt Vinkovci als Flüchtlinge.

Hoffnung auf Rückkehr ins eigene Haus

„Jetzt wollen wir nach Hause“, sagt Joseph. Seit Tagen haben sie versucht, den Schutt aus dem Haus zu tragen. Der Dachstuhl müsse als erstes repariert werden. Das Land und das unversehrte Haus Josephs liegen im Nachbardorf. „Da sind jetzt zwei serbische Frauen drin. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen am 15. verschwinden. Die haben meine Landmaschinen in Serbien verscherbelt.“ In Hotels und Privatzimmern in Vinkovci sind viele ehemals „ethnisch gesäuberte“ Kroaten aus allen Teilen Kroatiens und auch aus dem Ausland eingetroffen. Familien warten auf den Stichtag, um sich ihre Häuser zurückzuholen. Die gemischte Polizei der Region wird viel zu tun haben, die ungeduldigen Rückkehrer an die vereinbarten Regelungen zu erinnern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen