Nicht um Worte streiten, aber ...

Zwei Jahre nach dem Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße: Wie geht es den Überlebenden?  ■ Von Elke Spanner

Rein Organisatorisches steht zwei Jahre danach zur Entscheidung an. Wo genau soll das Denkmal stehen, soll es von Stelzen oder einem festen Fundament getragen werden? Und was passiert mit dem Denkmal, wenn eines Tages gebaut werden soll – dort, wo vor zwei Jahren noch 48 Menschen lebten und heute eine Brachfläche ist? Zehn Flüchtlinge starben „bei einem Brand“soll dort, in der Lübecker Hafenstraße, demnächst zu lesen sein. Das schlägt der „Runde Tisch“vor.

Kibolo Katuta, Überlebender der Nacht zum 18. Januar 1996, nickt erst zustimmend. Dann fragt er zaghaft an, ob man nicht wenigstens „Brandanschlag“schreiben könne? Der persönliche Referent von Lübecks SPD-Bürgermeister Michael Bouteiller, Holger Walter, wiegt bedächtig den Kopf. Um Worte wolle man sich nicht streiten, und offen für Vorschläge sei er sowieso. Dennoch: Der Text müsse neutral gehalten werden – denn ob es ein Brandanschlag war, und wer das für zehn Flüchtlinge tödliche Feuer legte, habe ja leider nicht aufgeklärt werden können.

Der Zairer Kibolo Katuta sieht das ganz anders. „Alle wissen, daß deutsche Rechtsradikale den Brandanschlag verübt haben“, sagt er, „aber um das Image Deutschlands in der Welt zu retten, haben sie alles getan, um es anders darzustellen.“„Sie“, das sind die Polizei, die Regierung und jenes Landgericht, das im Mai 1997 zwar den Libanesen Safwan Eid freigesprochen hat und auch einen Brandanschlag von außen verneinte. „Daß es Nazis waren, weiß die ganze Welt“, ist Katuta hingegen überzeugt. Die Stadt Lübeck fühlt sich jedoch an das Landgerichtsurteil gebunden: Von einem rassistischen Anschlag wird auf dem Denkmal nicht die Rede sein.

Die Stadt hat sich nach dem Brand willens gezeigt, die 38 überlebenden Flüchtlinge zu unterstützen. Doch das Bemühen stößt dort an Grenzen, wo es über mitfühlende Bekundungen und organisatorische Fragen hinausgehen müßte. So haben zwar alle Überlebenden mittlerweile eigene Wohnungen – ein paar Anrufe bei Wohnungsbaugenossenschaften, und plötzlich war in den meisten Fällen binnen weniger Wochen möglich, worauf einige der Flüchtlinge zuvor monatelang gewartet hatten. Doch ein Bleiberecht haben die Überlebenden immer noch nicht. Denn dies wäre ein Signal, das zwar alle gerne sehen, niemand jedoch selbst abgeben möchte.

Bürgermeister Bouteiller verweist auf die Landesregierung in Kiel, der schleswig-holsteinische Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) nach Bonn. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) jedoch denkt gar nicht daran, einem Bleiberecht aus humanitären Gründen zuzustimmen, denn dann „zünden demnächst alle Flüchtlinge ihre Häuser an, damit sie hierbleiben können“, ist er überzeugt. Von Sanktionen gegenüber Innenminister Wienholtz, falls dieser ein Bleiberecht aussprechen würde, hat Kanther nichts gesagt. „Wienholtz hat keinen Mut“, meint Katuta.

Er ist dennoch optimistisch, auf Dauer in Lübeck leben zu können. „Man kann die Opfer doch nicht abschieben, wir haben alle physische und psychische Probleme“, erzählt der Zairer. Wie oft wacht seine Tochter nachts auf und schreit „Papa, es brennt“.

Äußerlich verläuft das Leben der Familie Katuta längst wieder in festen Bahnen. Die Familie hat sich Rahmenbedingungen geschaffen, die nicht nur bis zum Ablauf der Duldung, sondern auch für die Zukunft Bestand haben sollen. Einen Monat nach dem Brand bezog sie eine Zweizimmerwohnung in der Innenstadt. „Wir fühlen uns sicher, weil wir mit Deutschen zusammenwohnen“, sagt Katuta. „In der Hafenstraße waren wir Flüchtlinge isoliert.“Die achtjährige Paola besucht die Schule. „Sie ist sehr gut in Mathematik und Deutsch“, erzählt der Vater stolz.

Das Wohnzimmer der Familie ist durchtechnisiert: Fernseher, Stereoanlage – alles Dinge, die man braucht, wenn man nicht arbeiten gehen darf und die Tage selbst strukturieren muß. Wie insgesamt 24 der 38 Überlebenden hat auch Kibolo Katuta nur eine ausländerrechtliche Duldung, und dieser unsichere Status versagt ihm die Arbeitserlaubnis. Ein Grund mehr für die Überlebenden, darauf zu hoffen, endlich die Sicherheit eines festen Bleiberechtes zu bekommen.

Auch Kate Davidson ist mit ihren Kindern ins Zentrum Lübecks gezogen, in einen Wohnblock in der Nähe des Hauptbahnhofes. Joao Bunga dagegen mußte mit seinen zwei Kindern in der Flüchtlingsunterkunft in der Rabenstraße ausharren, bis sie vor vier Monaten eine Wohnung beziehen konnten.

Der Zairer Jean-Daniel Makodila, dessen Frau und fünf Kinder bei dem Brandanschlag starben, lebt allein in einem Hochhaus. Kibolo Katuta besucht ihn oft. Die Überlebenden der Hafenstraße halten den Kontakt. „Wir haben alle das gleiche Leid“, sagt Katuta und erklärt damit auch die „starke Solidarität“.

Demo für das Bleiberecht: Heute, 13 Uhr, Kohlmarkt in Lübeck