: Trance auf Bali. Blut besänftigt Göttin
Bei der rituellen Zeremonie kämpft das Gute gegen das Böse. Tänzer in Trance verschlingen lebendige Küken ■ Von Monika Rößiger
Zuerst erklingen die dumpfen Bronzegongs und die rasend schnell gehämmerten Metallophone. Dann Schellen, Pikkoloflöten und Trommeln. Mit untergeschlagenen Beinen sitzen die zwanzig Spieler des Gamelan-Orchesters auf der Festwiese von Bangli, einem Dorf im Landesinneren von Bali. Tausende von Menschen strömen aus den umliegenden Dörfern herbei, um dem wichtigsten Ereignis des Jahres beizuwohnen: dem universellen Kampf zwischen Gut und Böse, verkörpert durch die heiligen Masken von „Rangda“, Königin der Hexen und Dämonen, und „Barong“, dem Schutzgeist.
Bereits eine Stunde vor Beginn der Zeremonie drängt sich die schaulustige Menge auf der Wiese, es herrscht ausgelassene Feststimmung. Während die Metallophon- Spieler ihre Klöppel immer schneller über die Plättchen hüpfen lassen, wächst die Spannung der Wartenden. Noch befinden sich die Masken und ihre Träger im Tempel neben der Festwiese, wo sie die Weihen des Priesters empfangen. Nur ein am Boden liegendes Seil markiert die Arena.
Plötzlich beginnt das Publikum zu jubeln. Eskortiert von zwei Tempeldienern mit bunten Trottelschirmen tänzelt der „Barong“ in die Arena: ein Fabeltier mit zotteligem Fell und hochgeschwungenem Schweif, an dem ein Glöckchen bimmelt; der langgestreckte Leib, in dem zwei Tänzer stecken, ist mit Gold- und Spiegelpailletten verziert. Übermütig den rot lackierten Holzkopf schüttelnd, trabt der Barong über die Wiese. Mit auf und zu klappendem Gebiß, weit aufgerissenen Augen und dem blumengeschmückten schwarzen Bart aus Menschenhaar wirkt er furchterregend und liebenswert zugleich. Das Orchester begleitet ihn mit einem Metallophoncrescendo und synkopierenden Gongschlägen.
Abrupt verstummt die Musik. In die Arena springt „Rangda“, ein gräßliches Scheusal mit langen Klauen, Struwwelmähne bis zum Knie und riesigen Stoffbrüsten, die im Tanztakt wippen. Ihr böse grinsendes Maul entblößt eberartige Hauer, zwischen denen sie dumpfe, gurgelnde Laute hervorstößt. Plötzlich springt Rangda mit Geheul ins Publikum. Vor Panik kreischend weicht die Menge zurück.
Die Kinder weinen, die Erwachsenen schütteln ihre Angst mit einem Lachen ab. Sie sind froh, der fluchbeladenden Berührung Rangdas entkommen zu sein. Ihre gefährlichste Waffe ist – ein weißes Tuch. Es birgt die Kräfte ihrer schwarzen Magie. Eine Berührung mit diesem Tuch versetzt die Opfer entweder sofort in Trance oder bringt Krankheit und anderes Unheil über sie. Das glauben nicht nur alte Balinesen, sondern auch die jungen, die sich modern in Jeans kleiden und ihr Geld als Touristenführer verdienen.
Der Nervenkitzel treibt die Geflohenen ins Gewühl zurück, wo sich das Spiel mit der Angst noch einige Male wiederholt. Beim Klang der hetzend gekoppelten Metallophone schleicht sich die Herrscherin der Unterwelt an den Barong heran, den „Fürsten des Dschungels“, der die guten Mächte verkörpert.
Jedes Dorf besitzt einen Barong als Schutzgeist. In Zeiten der Not – Seuchen oder Schädlingsplagen – holen die Bewohner ihn aus dem Tempelschrein hervor und geleiten ihn in einer Prozession durchs Dorf. So kann er die Kräfte seiner weißen Magie entfalten und den Einfluß der Dämonen, äußerlich sichtbar durch Krankheiten und Plagen, zurückdrängen.
In der Arena ist Rangda bis auf einen Schritt an den Barong herangetänzelt; die Böse wirbelt ihr Tuch siegessicher in der Luft, bevor sie mit hämischem Lachen zur Attacke übergeht. Zwischen den beiden entbrennt ein wütender Kampf, von den BalinesInnen mit anfeuernden Rufen für ihren Schutzheiligen verfolgt. Aber seine Kräfte schwinden, er droht der Bestie zu unterliegen. Das ist der Moment, in dem ihm die dolchbewehrten „Kris-Tänzer“ zur Hilfe eilen.
Die Abgeordneten ihrer Dorfgemeinschaft symbolisieren im Ringkampf der kosmischen Kräfte die Menschheit und müssen nun für deren Erhaltung kämpfen. Mit ihrem „Kris“, also ihrem Dolch, greifen sie Rangda an. Doch die schwenkt das magische Tuch über ihren Köpfen. Die Tänzer, wie verhext, richten den Dolch gegen ihre eigene Brust. Mit verkrampften Gesichtern stechen sie scheinbar auf sich ein. Sie sind in Trance. Durch Rangdas Berührung ist ein böser Dämon in die Kris-Tänzer gefahren. Das Böse läßt läßt sich niemals gänzlich besiegen, es kann aber mit Blutopfern besänftigt werden.
Damit beginnt der zweite Akt des Tanzdramas: Tempeldiener laufen in die Manege und winken mit lebenden Küken, die sie an den Füßen hochhalten, während die Dolchtänzer in Trance umhertorkeln. Ihre dämonische Verbindung macht sie jetzt ähnlich furchterregend wie Rangda. Sie selbst hat inzwischen die Arena verlassen – ebenso der Bareng. Wie brüllende Stiere stürzen die „Besessenen“ sich immer wieder in die Zuschauermenge, die jedesmal schreiend flüchtet. Neugierigen Touristen wird erklärt, daß die Männer rote Kleidung bevorzugen, weil die Dämonen sie blutrünstig gemacht hätten. Einer der „Besessenen“ wird plötzlich auf einen kükenschwenkenden Tempeldiener aufmerksam. Er wankt zu ihm hin, mit dem dumpfen Blick eines Unzurechnungsfähigen. Als sie sich gegenüberstehen, geht der Kris-Tänzer leicht in die Knie, breitet die Arme aus und beginnt mit schlangenartigen Bewegungen zu tanzen, den Dolch drohend in der Hand. Der Tempeldiener tanzt wie sein Spiegelbild. Das an der linken Hand kopfüber baumelnde Küken piepst in höchsten Tönen. Für Sekunden wirkt die Szene stilisiert wie höfischer Tanz. Dann verzieht sich das Gesicht des Tänzers zu einem diabolischem Grinsen. Ruckartig schnellt er vor, reißt das Küken an sich und stopft es in seinen Mund. Die Menge hält den Atem an. Kau- und Schluckbewegungen lassen keinen Zweifel an der Echtheit des Geschehens; Blut rinnt dem rituellen Esser aus dem Mund, während er die Kükenbeine fortschleudert und sein nächstes Opfer sucht.
Die Soldaten, die als Aufpasser fungieren, haben immer mehr Mühe, die mitgerissene, zur Arena drängende Zuschauermenge im Zaum zu halten. Fluchend schlagen sie mit Riemen auf die Vordersten ein und befehlen ihnen, sich hinzusetzen. Das tun sie auch. Minuten später stehen sie aber wieder, um sich dem Ansturm in ihrem Rücken entgegenzustemmen. Es ist so eng, daß man kaum noch die eigenen Füße auf dem Boden spürt.
Ein schweißüberströmter Trancetänzer schluckt gerade sein drittes Küken; blutiger Speichel tropft auf seine entblößte Brust. Er wankt zum Tempeldiener, der eine Flasche Palmschnaps bereithält, ergreift die Flasche und stürzt das scharfe Gebräu hinunter. Nach einem weiteren Küken, von dem er nicht mal mehr die Eingeweide schlucken kann, wird der sichtlich Erschöpfte von Helfern überwältigt und zu Boden gerungen. Er bekommt noch mehr Schnaps eingeflößt, dann wird er abgeführt, wie die anderen Trancetänzer auch. Sie haben ihre soziale Pflicht erfüllt.
Mit Schellenklang, Trommelschlag und Gongdröhnen bahnt das Gamelan-Orchester den fünf Männern einen Weg durchs Publikum. In ihnen wüten noch immer die Dämonen und verleihen ihnen überirdische Kräfte: Mehrmals reißen sie sich los und stürzen mit Gebrüll auf die Schaulustigen, die so die Garstigkeit der Dämonen am eigenen Leib erfahren.
Die Prozession mündet im Tempel, wo der Priester die Rasenden aus der Trance erweckt – der dritte und letzte Akt des Reinigungsrituals für die Dorfgemeinde. Der weiß gekleidete Mann mit dem weißen Turban beugt sich über den ersten der Zitternden, die von mehreren Männern am Boden gehalten werden. Sie winden sich wie in Krämpfen. Der Priester murmelt halb singend Gebete, versprengt Weihwasser und bimmelt mit dem heiligen Glöckchen, bis die mit dem Dämon Ringenden in unsere Welt zurückkehren. Sie wirken benommen, wie aus einer Narkose erwacht.
Die Spannung im Publikum weicht heiterer Gelassenheit. Nach den dramatischen Ereignissen bummeln die Zuschauer zum Marktplatz, wo Eßstände aufgebaut sind. Es ist bereits dunkel. Die Menschen sitzen auf langen Bänken und essen Spanferkel, gebratenen Reis mit Sojasprossen und Spinat, Pfannkuchen mit Kokosraspeln. Auf der Straße findet der beliebte Tanz „joged“ statt, bei dem eine junge, in Brokat gewandete Tänzerin sich einen Mann nach dem anderen aus dem Publikum holt und mit schlängelnd erotischen Bewegungen umgarnt. Die Umstehenden lachen vergnügt.
Nach Mitternacht beginnt im Ahnentempel das Schattentheater, zur Erheiterung der Gemeinde, vor allem aber für die Götter und Ahnen. Die sind für die Balinesen genauso anwesend wie die sichtbaren Besucher.
Das Fest ist zu Ende.
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