: China verliert seine Gelassenheit
Die Regierung will mit Reformen ein Übergreifen der Wirtschaftskrise verhindern. Doch auch chinesische Banken sitzen auf 200 Milliarden Dollar faulen Krediten ■ Von Sven Hansen
Berlin (taz) – Chinas Zentralbankchef Dai Xianglong hat gestern erstmals eingeräumt, daß die Wirtschaftskrise in Asien auch im Reich der Mitte das Wirtschaftswachstum verlangsamen wird. Laut Dai könne es in diesem Jahr unter die von der Regierung prognostizierten acht Prozent fallen, wenn nicht gegengesteuert würde. Er kündigte eine Reform des Bankwesens und die Unterstützung von Infrastrukturprojekten an. Faule Kredite sollen beschleunigt abgeschrieben und die Kreditlinien für gezielte Bereiche erhöht werden.
Laut Dai haben die Währungsabwertungen der südostasiatischen Länder nur einen berenzten Einfluß auf China. Sie beträfen nur 15 Prozent der chinesischen Exporte. Eine Abwertung des Yuan schloß er zum wiederholten Male aus. In letzter Zeit hatten Finanzexperten immer wieder befürchtet, daß Peking mit einer Abwertung seiner Währung die Krise in Asien noch verschärfen könnte.
Chinas Regierung hatte sich lange Zeit gelassen, darauf zu reagieren. Doch inzwischen ist die Gelassenheit hektischen Aktivitäten gewichen. Am Dienstag und Mittwoch berieten in der Pekinger Großen Halle des Volkes Finanz- und Wirtschaftspolitiker des Landes hinter verschlossenen Türen über die Auswirkungen der Asienkrise auf die Volksrepublik. Vorgestern kam der stellvertretende US-Finanzminister Lawrence Summers zu entsprechenden Gesprächen nach Peking. Und an diesem Wochenende wird der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus, in der chinesischen Hauptstadt erwartet, nachdem er zuvor in Kuala Lumpur, Jakarta und Seoul Krisengenspräche führte.
„Die Abwertungen in Südostasien sind eine ernsthafte Herausforderung. Wir müssen uns ihr stellen“, sagte Chinas Vizepremierminister Zhu Rongji nach dem Treffen der chinesischen Wirtschafts- und Finanzexperten. Der als „Wirtschaftszar“ bezeichnete Zhu wird auf dem Nationalen Volkskongreß im März voraussichtlich zum Regierungschef und Nachfolger Li Pengs ernannt. Zhu ist überzeugt, daß China die Herausforderung der asiatischen Krise meistern kann. Chinas Exporte seien wettbewerbsfähig und das Umfeld für Investitionen verbessere sich ständig. Von den 118 Milliarden US- Dollar Auslandsschulden müßten nur 15 Prozent kurzfristig zurückgezahlt werden.
Abgesehen von seinem 8,8prozentigen Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr blieb China bisher auch deshalb verschont, weil die chinesische Währung nicht frei konvertierbar ist. Während der Wechselkurs von der Zentralbank festgelegt wird, müssen fast alle chinesischen Unternehmen den Großteil ihrer Deviseneinnahmen abführen. Für Auslandseinkäufe bekommen sie Devisen zugeteilt. Außerdem ist das Aktienvolumen an den Börsen in Shanghai und Shenzhen noch klein, so daß wenig Möglichkeiten zur Intervention bestehen.
In den vergangenen Wochen wurden die wirtschaftlichen Risiken immer deutlicher, denen China ausgesetzt ist. Durch den massiven Währungsverfall in den Krisenstaaten sank die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft. Während das durchschnittliche Lohnniveau in China trotz der jüngsten Abwertungen immer noch halb so hoch wie in Thailand ist, gilt dies nicht für die südliche Provinz Guangdong. Dort liegen die Löhne weit über dem Landesdurchschnitt, und ein Großteil der industriellen Exporte stammt aus Guangdong.
Inzwischen hat sich erstmals seit 1994 wieder ein Schwarzmarkt für US-Dollar gebildet. Mit einem weiteren Währungsverfall der wirtschaftlichen Hauptkonkurrenten Chinas wird der Abwertungsdruck wachsen. Sollte die Wirtschaft dieses Jahr nicht um acht Prozent wachsen, sondern nur um fünf Prozent, wie die Deutsche Bank schätzt, dann erhöht sich ebenfalls der Druck. Denn die gestärkte asiatische Konkurrenz, eine erschöpfte Binnennachfrage und ein rückläufiger Trend bei den ausländischen Investitionen sprechen gegen ein hohes Wachstum.
Einer Abwertung entgegen steht auch der Druck Washingtons. Die US-Regierung hat schon bisher über Chinas hohen Handelsbilanzüberschuß von 40 Milliarden Dollar geklagt und Peking unfaire Handelspraktiken vorgeworfen. Sollte der Überschuß wachsen, könnte Washington den von Peking angestrebten WTO-Beitritt blockieren. Eine Abwertung des Yuan, die allenfalls zur Jahresmitte erwartet wird, würde auch das Vertrauen in den Hongkong- Dollar erschüttern. Der ist an den US-Dollar gebunden, woran die Regierung der chinesischen Sonderzone eisern festhält. Bislang wird der Hongkong-Dollar durch hohe Zinsen gestützt, die den Aktienmarkt und Immobiliensektor belasten. Eine Abwertung würde sich noch negativer auswirken. Hongkong ist für China besonders wegen seines Finanzmarktes wichtig. Von dort verspricht sich Peking das Geld für seine Wirtschaftsreformen. Doch chinesische Firmen haben ihren Gang an die dortige Börse wegen der Krise bereits verschoben.
Das Tempo der Reformen könnte sich jetzt verlangsamen und dazu führen, daß die Risiken später um so größer sind. Schon heute sind Chinas Probleme mit bankrotten Staatsbetrieben und das Risiko sozialer Unruhen wegen steigender Arbeitslosigkeit unübersehbar. Hinzu kommen große Probleme im Finanz- und Banksektor. Die Ratingagentur Standard&Poor schätzt, daß Chinas Banken 200 Milliarden Dollar faule Kredite in ihren Büchern haben. In Relation zu den Gesamtausgaben würden Chinas notleidende Kredite damit nur noch von Thailand übertroffen. Die fehlende Transparenz in Chinas Finanzsektor stellt die der bisher von der Krise betroffenen Länder noch in den Schatten. Mit bösen Überraschungen muß deshalb in der Volksrepublik trotz der vorsichtigen Reformen weiter gerechnet werden.
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